Wir lassen uns nicht einschüchtern

8. Februar 2018

antifa-Gespräch mit Nadine Saeed von der Initiative Oury Jalloh

antifa: Was geschah am 7. Januar 2005 mit Oury Jalloh?

Nadine Saeed: Oury Jalloh wurde am Morgen des 7.1.2005 rechtswidrig im Dessauer Stadtgebiet festgenommen. Er hatte mehrere Frauen von der Stadtreinigung nach einem Telefon gefragt. Diese haben dann die Polizei gerufen und mitgeteilt, dass sie von einem Ausländer belästigt werden. Als die Polizisten eintrafen, befand Oury sich bereits abseits, trotzdem wurde er gewaltsam in das Polizeiauto verbracht und ins Polizeirevier in die Wolfgangstraße gebracht. Die beiden Polizeibeamten behaupteten, dass er mit seinem Kopf immer wieder selbständig gegen Tisch und Wand geschlagen wäre. Deshalb fixierten sie ihn in der Zelle 5 an Händen und Füßen auf eine schwer entflammbare Matratze. Nur wenige Stunden später verbrannte er bis zur Unkenntlichkeit.

antifa: Schon 2013 habt ihr ein Gutachten vorgelegt, dass er sich selbst gar nicht hatte selbst verbrennen können?

Nadine Saeed: Die Brand- und Todesursache wurde durch Polizei und Justiz nicht aufgeklärt. Es wurde konsequent behauptet, Oury Jalloh habe die Matratze selbst angezündet. Die Staatsanwaltschaft verweigerte entsprechende Brandversuche. Deshalb haben wir bereits 2013 selbst einen Brandsachverständigen in Irland beauftragt. Das Ergebnis war eindeutig: ohne Brandbeschleuniger ist das Brandbild aus der Zelle 5 nicht zu erreichen. Darum haben wir im November 2013 Anzeige wegen Mordes gegen Unbekannt beim Generalbundesanwalt gestellt. Der hat sich aber für nicht zuständig erklärt und die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Dessau belassen.

antifa: Bereits zwei Wochen nach dem Tod von Oury Jalloh gründete sich die Initiative, die Aufklärung über seinen Tod forderte. Welche Reaktionen habt Ihr in den 12 Jahren erlebt? Gab es Einschüchterungsversuche?

Nadine Saeed: Statt den vorliegenden Fakten und Indizien nachzugehen und nach den Mördern zu suchen, führte dieselbe Staatsanwaltschaft Prozesse gegen uns vor dem Amtsgericht in Dessau. Wir sind seit 2005 massiver Repression ausgesetzt. Anfangs wurden viele Freunde von Oury aus der Region Dessau abgeschoben. Mouctar Bah, einem Mitbegründer der Initiative wurde vom Ordnungsamt der Stadt die Ladenlizenz für sein Telecafe, einen wichtigen Treffpunkt der afrikanischen Community in Dessau, entzogen. Es gab viele rechtswidrige Übergriffe der Polizei gegen uns. Wir mussten uns ständig gegen fadenscheinige Anschuldigungen vor Gericht verteidigen. 2015 kam heraus, dass der Staatsschutz Dossiers über uns anlegt hat und wir gesondert verfolgt werden. Wir werden seit Jahren überwacht und sie versuchen immer wieder, aktiv unsere Kommunikation zu stören. Das alles soll der Kriminalisierung und Einschüchterung dienen. Doch sie haben keinen Erfolg damit!

antifa: Anfang Dezember habt ihr Strafantrag wegen Mord gegen den Polizeibeamten S. gestellt. Was hat sich seitdem getan?

Nadine Saeed: Wir haben jetzt erneut Anzeige beim Generalbundesanwalt wegen Mordes gestellt, dieses Mal aber gegen einen bestimmten Polizeibeamten. Der  leitende Oberstaatsanwalt aus Dessau, Folker Bittmann, hatte ja im  April 2017 endlich zugegeben, dass es Mord gewesen sein muss. Er hat seine Ermittlungsergebnisse direkt an den Generalbundesanwalt geschickt und gebeten, dass dieser nun die Ermittlungen an sich zieht. Doch der lehnte wieder ab, da er kein rassistisches Tatmotiv erkennen könne. Die Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt hat daraufhin die Ermittlungen aus Dessau abgezogen und die Staatsanwaltschaft in Halle damit beauftragt. Diese stellte das Verfahren nach nur zwei Monaten ein. Sie begründete das damit, dass es keinen Anhaltspunkt für die Beteiligung Dritter sehen könne. Die Öffentlichkeit sollte also erneut getäuscht werden. Doch auch das ist ihnen nicht gelungen. Durch unsere eigenen Gutachten von 2013 und 2015 konnten wir viele Fakten ans Licht bringen und haben damit inzwischen große mediale Aufmerksamkeit erreicht.

antifa: Jahrelange Recherchen, Aufklärungsarbeit, und Gutachten kosten Geld. Wie habt ihr das finanziert?

Nadine Saeed: Wir arbeiten unabhängig vom Staat und haben alle Gutachten durch Spendengelder finanziert. Wir haben in den letzten Jahren fast 100.000 € für unsere eigene Ermittlungsarbeit ausgegeben. Nun haben wir uns entschlossen, eine internationale unabhängige Untersuchungskommission zu organisieren. Diese wird in Kürze ihre Arbeit aufnehmen. Wir vertrauen dem deutschen Rechtsstaat und auch den anderen staatlichen Institutionen nicht. Wir habe gesehen, wie das beim NSU läuft. Weder Gerichte noch parlamentarische Untersuchungsausschüsse bringen tatsächlich Aufklärung – insbesondere in der Frage der Rolle des Verfassungsschutzes – von Gerechtigkeit brauchen wir gar nicht zu reden. Wir verstehen den Aufbau einer unabhängigen Kommission auch als emanzipativen Schritt. Wir verlassen uns nicht auf den Staat sondern werden selbst aktiv. Auch symbolisch für all die anderen Menschen, die von der Polizei und Nazis ermordet wurden ohne dass dies jemals vor Gericht verhandelt wurde.

Das Gespräch führte Janka Kluge