Ehrung der letzten Opfer

geschrieben von Ulrich Sander

7. April 2018

Auf den Pfaden der Todesmärsche

Sie gehen in die Wenzelnbergschlucht bei Solingen und in die Bittermark bei Dortmund. Sie fahren mit dem Rad von Sachsenhausen nach Schwerin, und sie marschieren von Leipzig nach Wurzen, neuerdings geht es per Bus von Köln nach Hunswinkel bei Lüdenscheid. Antifaschistinnen und Antifaschisten ehren damit Opfer der Nazis in den letzten Wochen vor dem 8. Mai 1945: die Opfer der Kriegsendphasenverbrechen, die 700.000 Toten der Todesmärsche, der Hinrichtung von Deserteuren, politischen Gefängnisinsassen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

Kurz vor der Befreiung von Krieg und Faschismus wurden im Frühjahr 1945 Tausende Antifaschistinnen und Antifaschisten von den Nazis »ausgeschaltet« und ermordet. Während seit Herbst 1944 zahlreiche geheime Bemühungen von Nazioberen um eine Wende des Weltanschauungskrieges – eine Wende zu einer Einigung mit dem Westen zur Fortsetzung des Krieges gegen den Osten, die Sowjetunion, – unternommen wurden, wurde gleichzeitig ein Mordfeldzug gegen deutsche und ausländische Zwangsarbeiter, Antifaschisten und deutsche Soldaten, die dem Wahnsinn ein Ende bereiten wollten, in Gang gesetzt. Die Nazis verhandelten heimlich in der Schweiz mit US-Geheimdienstchef Dulles, sie ermordeten unter Aufsicht der Briten die jungen Matrosen in Jütland, die nicht mehr nach Osten in den Krieg gegen die Russen ziehen wollten. In Straßburg fand ein Treffen der SS mit Konzernen statt, um die Nachkriegsordnung zu regeln.

Die Nazis befürchteten, widerständige deutsche und ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter könnten sich die Früchte des bevorstehenden Sieges über den Faschismus durch gemeinsames Handeln sichern. So sollte ihre Mitarbeit an einer Zukunft ohne Nazis und Militaristen verhindert werden.

Gedenken an den Todesmarsch von Köln zur Versetalsperre bei Lüdenscheid.  Foto: Jochen Vogler /r-mediabase.eu

Gedenken an den Todesmarsch von Köln zur Versetalsperre bei Lüdenscheid.
Foto: Jochen Vogler /r-mediabase.eu

Von Köln aus wurden mindestens 1.000 Gefangene aus den Benelux-Ländern und dem Rheinland durch das Bergische Land in das sogenannte »Arbeitserziehungslager« Lüdenscheid-Hunswinkel im Versetal (heute unter den Fluten der Versetalsperre) und dem Exekutionsort Hühnersiepen (heute eine Kriegsgräberstätte) getrieben. Circa 300 wurden dort hingerichtet, viele kamen auf dem Todesmarsch ums Leben. In Köln selbst ermordeten die Faschisten kurz vor der Befreiung 1.800 in- und ausländische Widerstandskämpfer, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Juden.

Die Massenmorde, wie auch die Massaker in den Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen von den KZ nach Westen entsprachen dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des deutschen Faschismus. Gestapochef Müller hatte versichert: »Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen wurde; wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben lassen.«

Bei der Ehrung der Opfer geht es Antifaschistinnen und Antifaschisten heute nicht nur um die Verlegung von Stolpersteinen, sondern auch um die Aufklärung über das Zusammenwirken von Nazis und ökonomischen Eliten. So ist kaum bekannt, dass 200 KZs als »Arbeitserziehungslager« gemeinsam von Industrie und Gestapo unterhalten wurden. Dass die Essener Hochtief AG hunderte vernichtete Sklavenarbeiter im Wall der Versetalsperre im Sauerland bestattete. Dorthin zog dieses Jahr erstmals ein Gedenkmarsch.