Eindrücke aus Riga

20. Mai 2014

Zum Protest gegen den SS-Marsch in Litauen.             Fotos: W. Girod

Länderübergreifend zusammenarbeiten

Verherrlichung von Naziverbrechen und Täterglorifizierung auf europäischer Ebene zu begegnen, ist wichtiger denn je. Gerade in Ost- und Südosteuropa erstarkt eine offene und militante Neonaziszene, die in Habitus, Ideologie und Praxis keinen Hehl aus ihrer direkten Nachfolgeschaft zu faschistischen Organisationen macht. Dort, wo gesellschaftliche Gegenwehr unterstützt werden kann, sind wir Partner und Partnerinnen. Ob in Tschechien, Griechenland, Ungarn oder Lettland. Wir haben gesehen, dass wir Druck auf die rechtskonservative Regierung dort ausüben konnten, Neonazis und Ultranationalisten konnten nicht wie gewohnt agieren und mussten sich als Diktaturgegner tarnen, wir konnten die schwache antifaschistische wie regierungskritische Öffentlichkeit stärken. Und wir müssen am Ball bleiben. Ähnliche Aufmärsche und Versammlungen müssten noch mehr Anlass für eine länderübergreifende Zusammenarbeit der gegen Rechts und Geschichtslügen Engagierten sein. MdB Martina Renner

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Traurig schöner »Antifa-Ausflug«

Wie die meisten meiner Reisegefährten war ich noch nie so weit in Sachen Antifa gereist: 18 Stunden Busfahrt nach Riga, um gegen die Verdrehung der jüngsten Geschichte beim Aufmarsch von lettischen SS-Veteranen und ihrer Anhänger zu protestieren und die einheimischen Antifaschistinnen zu unterstützen. Auf dem Rigaer Domplatz erwartete uns zunächst ein überwältigendes Presse-Interesse, viel Polizei und ein langer Zug von 1500 Demonstranten aller Generationen, die Geschichtsvergessenheit und Nationalismus, NS-Verherrlichung und selbstmitleidiger Opferkult auf ihrem Sonntagsspaziergang vor sich her trugen. Viele haben uns angesprochen, um uns von ihrer Sicht zu überzeugen, was auch sehr interessant, da überhaupt nicht aggressiv war. Mit unserer kleinen Gruppe haben wir die Demonstrantinnen vor Ort zu Anfang zwar gerade mal verdoppelt, später stellte sich aber heraus, dass vor allem vor dem Ehrenmal der Marsch durch große Proteste am Rande begleitet worden war. Es war insgesamt ein spannendes Erlebnis: gemeinsame Aktion und ein lustiger Kneipenabend mit den Rigaer Antifaschisten, die sehr froh waren, dass wir gekommen waren, wir haben einiges von Riga gesehen (schönes Städtchen) und: 18 Stunden Busfahrt können wider Erwarten auch sehr anregend und gesellig sein.        Stephanie Schweisgut

 

Danke

Tatzeit: 16. März 2014, 13 Uhr OZ; Tatort: Riga; Täter: lettische SS-Söldner; wieder in Marsch hinter dem Kreuz, wieder offen stolz auf ihren Antibolschewismus, ihre Verbrechen und ihre Kumpanei mit dem deutschen Faschismus, wieder dabei deutsche Nazis. Und ich stehe da, diszipliniert im Polizeikessel, die Fahne der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer in der Hand, zeige wie meine deutschen FreundInnen neben und meine lettischen hinter mir, meinen Widerstand gegen diese Barbarei gesittet an. Aber ich gestehe, es braucht mein ganzes kultiviertes Ich, mich zu zügeln. Ich bin deshalb froh, nicht auch noch von einem Hetzer des lettischen Fernsehens als »von Putin bezahlt« angepöbelt zu werden. Unerwartet streichelt jemand meine Hand, kaum spürbar. Gut anderthalb Kopf kleiner als ich, steht vor mir ein Mütterchen, das Gesicht von Jahrzehnten gezeichnet. Es dankt mir, aber so scheu und leise, dass ich es kaum verstehe, zu schnell huscht es weiter. Ich bin aufs Tiefste berührt…und wünsche mir nur eins: möge ihr bewusst sein, dass diese braune Brut schon einmal besiegt wurde und auch sie eine Siegerin ist. Dank Dir, Mütterchen!                 Dr. Udo Stegemann

Wir kommen wieder

Noch bevor wir in Riga ankamen wurde deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen deutscher, litauischer und lettischer Polizei zumindest dann funktioniert, wenn es darum geht, Antifaschistinnen zu schikanieren. Doch da wir uns nicht unterkriegen ließen, kamen wir schließlich nach mehrstündigen Polizeikontrollen in Riga an. Am Tag unseres Protests gegen die Verherrlichung der Waffen-SS und die ihr angeschlossenen lettischen Verbände schlug uns nicht nur meteorologisch ein kalter Wind entgegen. Im Prinzip verdächtigte uns die gesamte Bevölkerung, im Auftrag Putins den gesellschaftlichen Frieden zu stören. Dieser Auffassung war auch die anwesende Presse. Ansonsten interessierte sie sich jedoch sehr für uns, ich glaube, ich habe noch nie so viele Kameradinnen so viele Interviews geben sehen.

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Wichtiger war jedoch, dass unsere Anwesenheit den lettischen Antifaschisten Schutz vor Übergriffen durch Faschisten und Polizei bot. So kam es dieses Mal nicht zu physischen Auseinandersetzungen. Hier zeigt sich, wie wichtig unsere internationale Solidarität war und ist. Ich bin der Meinung, dass erst unsere Anwesenheit den Druck auf die lettische Regierung soweit erhöht hat, dass der lettische Minister der Regionen schon im Vorfeld gefeuert wurde und die Polizei sich am Tag selbst sehr zurück hielt. Außerdem waren auch Nazis von der Partei »Die Rechte« aus Dortmund vor Ort. Sie zeigten sich im Nachhinein wenig begeistert von unserer Anwesenheit – so soll es sein! Für mich rundete der Besuch des Ghetto Museums in Riga die Fahrt ab. Hier wurde deutlich, wie eng die Zusammenarbeit von Deutschen und Letten bei der Judenvernichtung war. Heute wie damals wird sie jedoch durch antirussische/ antisowjetische/ antikommunistische Phrasen beschönigt oder gar negiert.            Florian Gutsche

Erinnerung an die ermordeten Juden

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Da meine Großmutter im Februar 1942 in Riga ermordet wurde, finde ich die Aufmärsche der Veteranen und Sympathisanten der lettischen Waffen-SS schon lange unerträglich. Genauso wie die Tatsache, dass bis heute lettische Angehörige der Waffen-SS eine Rente aus Deutschland bekommen. Deshalb war es mir auch wichtig, an den Protesten teilzunehmen. Es ist traurig, dass die jungen Menschen in Lettland heute wenig über die tatsächlichen Vorgänge in Lettland im Zweiten Weltkrieg wissen. So konnte uns in Riga niemand sagen, wo sich das Ghetto-Museum befindet, das an die Ermordung der Juden in Lettland erinnert.    Rita Bock

Protest gegen falsche Erinnerungskultur

Es war gut, dass wir in Riga nicht nur Gesicht sondern auch unseren sichtbaren und hörbaren Protest gezeigt haben. Wir waren empört, dass in Lettland, einem Land der Europäischen Union, seit Jahren frühere Söldner einer lettischen Division der Waffen SS, deren Angehörigen und Sympathisanten durch Riga demonstrieren. Unvorstellbar in einer Stadt, die in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas geworden ist. Unsere Anwesenheit, unsere Transparente, Fahnen und Plakate haben Aufsehen erregt. Zustimmung und Ablehnung begegneten uns. Aber auch viel Interesse, woher wir kamen und warum wir gekommen sind. Wir haben ein sichtbares Zeichen für ein antifaschistisches Europa gesetzt. Die in Riga demonstrierte Erinnerungskultur, in der die Täter von einst zu Opfern von heute werden, gehört nicht dazu. Schon gar nicht im Jahre 2015, 70 Jahre nach der Befreiung Europas vom Faschismus. Dies sollte auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament endlich zum Anlass nehmen, sich von dieser Art von Erinnerungskultur eindeutig zu distanzieren.             Hans Coppi

Antifaschisten in der Minderheit

Von der Fahrt nach Riga sind mir drei Ereignisse besonders lebhaft in Erinnerung geblieben. Zunächst überraschte mich die Repression an der Grenze. Da die meisten an der Fahrt Teilnehmenden deutlich älter als ich waren und offensichtlich keine militanten Aktionen planten, dachte ich, es »würde schon alles gut gehen«. Dies war offensichtlich ein Fehlurteil. Von einem Interview mit Cornelia Kerth habe ich viel aufgenommen, da sie sehr klar und deutlich argumentiert und unsere Ziele formuliert hat. Für mich war es noch einmal eine Bestätigung, warum es richtig ist, gegen den lokalen Waffen-SS Wahn zu demonstrieren.

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Während unserer Aktion gab ich ein kurzes Interview, das aufgrund meiner mittelmäßigen Englischkenntnisse eher holprig verlief. Da aber die Frage, was denn gegen die Verehrung der Waffen-SS einzuwenden sei, sehr einfach zu beantworten ist, konnte ich doch Sinnvolles sagen. Obwohl die zahlenmäßige Unterlegenheit der Gegendemonstranten klar war, wirkte es doch ernüchternd, als sich der lettische Demonstrationszug in Bewegung setzte. Die Erfahrung, als Antifaschist bei einer Demo in der Minderheit zu sein, war auch für mich neu.  Max Gersema

 

Hoffnung auf eine gestärkte Antifa

Die Fahrt nach Riga hat mich in mehrfacher Hinsicht beeindruckt. Zunächst die 70, 80jährigen Antifaschisten, die die Strapazen einer extrem langen Anreise und die (zu erwartenden) Polizeischikanen  auf sich genommen haben, um dem baltisch-faschistischen SS-Veteranengedenken ihre Stimme des Protestes entgegen zu setzen und die lettischen Antifaschisten zu unterstützen. Ganz toll!

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Ich hoffe, daß die lettische Antifa gestärkt aus dieser Aktion hervorgeht und es in Zukunft gelingt, einen größeren Teil der Menschen zum antifaschistischen Protest gegen die alljährlichen rechten Aufmärsche am 16. März zu mobilisieren, die ja auch zu Zehntausenden am 9. Mai in Riga die Befreiung vom Faschismus feiern.

Geschockt hat mich die große Teilnehmerzahl der rechten Marschierer. In Anbetracht der geringen Einwohnerzahl Lettlands entsprechen 1500-2000 Teilnehmer ca. 1% der lettischen Bevölkerung. Auf die BRD übetragen wäre das ein faschistischer Aufmarsch von 800.000. Dass der rechte Aufmarsch in Riga mit einem Gedenkgottesdienst startete und sich ein protestantischer Pfarrer an seine Spitze setzte zeigt, wie tiefgreifend es den Repräsentanten der lettischen Institutionen gelungen ist, ihre anti- kommunistische und russophobe Interpretation der Geschichte durchzusetzen. Dass ein derartiges staatlich gefördertes Geschichtsbild direkt zur massiven Diskriminierung von 30% der Bevölkerung, vorwiegend der russisch sprechenden Menschen, führt, ist dann folgerichtig.          Uwe-Jens Kluge