»An die deutschen Hörer«

geschrieben von Peter Fisch

5. September 2013

Thomas Manns Rundfunk-Ansprachen von 1940 bis 1945

März-April 2009

» Ein deutscher Schriftsteller spricht zu euch, dessen Werk und Person von euren Machthabern verfemt sind und dessen Bücher, selbst wenn sie vom Deutschesten handeln, von Goethe zum Beispiel, nur noch zu fremden, freien Völkern in ihrer Sprache reden können, während sie euch stumm und unbekannt bleiben müssen. Mein Werk wird eines Tages zu euch zurückkehren…«

So begann die erste Ansprache des Emigranten Thomas Mann im Oktober 1940.

Der Krieg war bereits ein Jahr im Gange, als die British Broadcasting Corporation (BBC) den exponiertesten Vertreter des antifaschistischen Exils bat, sich mit Radioansprachen an die Deutschen zu wenden. Er sollte, wie er 1942 schrieb, »die Kriegsereignisse kommentieren und eine Einwirkung auf das deutsche Publikum im Sinne meiner oft geäußerten Überzeugungen versuchen…«

Insgesamt trat Thomas Mann zwischen 1940 und 1945 58mal im Deutschen Dienst des britischen Senders auf. Zunächst wurden die Reden nach London gekabelt, wo sie ein deutscher Sprecher der BBC verlas, später in den USA auf Schallplatten aufgenommen und per Telefon nach London abgespielt. Diese Ansprachen, immer jeweils von ca.acht Minuten Dauer, sind wohl die entschiedensten und kompromisslosesten Äußerungen, die er Zeit seines Lebens zu Fragen des Zeitgeschehens geschrieben und gesprochen hat. Wer sich heute den vorliegenden Texten oder dem Tondokument zuwendet, wird sich der bedeutenden literarisch-publizistischen Leistung, aber auch der intellektuellen und zugleich emotionalen Wirkung nicht entziehen können. Nicht gedacht als essayistische Bemühung über das aktuelle Kriegsgeschehen, wollte Thomas Mann die Deutschen wachrütteln und ihnen Mut zusprechen.

Sein Engagement gegen das faschistische Deutschland resultierte nicht nur aus der Sorge um den Kriegsausgang, sondern auch aus Sorge um sein Werk.Er wusste: Dieser Krieg ist eine »Entscheidungsschlacht der Menschheit, und alles entscheidet sich darin, auch das Schicksal meines Lebenswerkes.« Er könne für lange Zeit nicht nach Deutschland zurückkehren, »wenn das elende Gesindel siegt…« So wichtig ihm die Sorge um sein Oeuvre war, die Radioansprachen wurden dennoch primär von politisch-moralischen Motiven getragen. Nicht zuletzt war es das »Leiden an Deutschland«, an »all dem, was es nach dem Willen verbrecherischer Gewaltmenschen…der Welt angetan hat«, das ihn zum Sprechen anregte.

In der Rede vom März 1941 charakterisierte Thomas Mann seine Ansprachen explizit als Dienst an den Deutschen, als Hilfe für ein gedemütigtes und verführtes Volk, das sich zugleich immer mehr mitschuldig macht. Die Deutschen zum Sturz des Faschismus zu bewegen – darin bestand das eigentliche Ziel der Rundfunkreden. Ihre Inhalte konnte Thomas Mann frei bestimmen.

Welches Bild zeichnet er von Deutschland und den Deutschen? Danach zu fragen, erscheint wichtig, weil die Antwort Aussagen zur Position des Repräsentanten der antifaschistischen Emigration über die spezifische historische Verantwortung ihres Landes und Volkes vermittelte, die nach wie vor aktuell sind. Eine grundlegende Prämisse Thomas Manns war, dass er strikt zwischen den Interessen des deutschen Volkes und denen der faschistischen Machthaber unterschied. Geradezu leitmotivisch durchzog diese Auffassung seine Reden: Die Verführung der Deutschen sei das Werk des Faschismus und seiner Repräsentanten, und nur so wären die furchtbaren Verbrechen möglich gewesen. Dabei war für ihn die Abkehr eines großen Teils der Deutschen von den humanistischen Idealen rational nur schwer fassbar.

Er appellierte daran, Mut zum Widerstand zu entwickeln. In seiner Rede vom 25.5.1942 forderte er die Deutschen zur Reue, Sühne und Selbstreinigung auf – als Bedingung für den Neuanfang. Letzterer sollte sich nicht »auf die Ausbrennung der Nazipest beschränken…,sondern die ganze Menschenschicht treffen, deren Macht -und Habgier sich des Nazitums als Instrument bediente…« Seine Parteinahme für die Staaten und Armeen der Antihitlerkoalition wurde immer deutlicher, zumal auch seine Kinder Klaus, Golo und Erika als Angehörige der US-Streitkräfte bewusst antifaschistisch handelten. Dieser Logik folgend, rechtfertigte er alle militärischen Handlungen, die der Niederwerfung des Faschismus dienten, so auch den Bombenkrieg. Schon im April 1942, nach der Bombardierung Lübecks, bekannte er: »Das geht mich an, es ist meine Vaterstadt…Aber ich denke an Coventry – und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.«

Nach Kriegsende musste er erkennen, dass die Mehrheit der Deutschen sich nur in ihrer Opferrolle gefiel, keinen Blick auf das Leid anderer Völker warf und die Frage der Mitschuld an Krieg und Faschismus ignorierte. »Es ist kein großes Volk«, stellte er verbittert fest.

In seiner Ansprache vom 10.Mai 1945, angesichts der faschistischen Kapitulation, resümierte er:

Das deutsche Volk habe es nicht vermocht, sich selbst zu befreien, dennoch, »…die Stunde ist groß – nicht nur für die Siegerwelt, auch für Deutschland -, die Stunde, wo der Drache zur Strecke gebracht ist, das wüste und krankhafte Ungeheuer…«, Unabdingbar wird es sein, so fortsetzend, die militärische Zerschlagung des Faschismus als Befreiung und historische Leistung anzuerkennen, als Chance für die Deutschen zur, »Rückkehr zur Menschlichkeit« durch die »innere Abkehr« vom nazistischen Ungeist in seiner Gesamtheit.