Ausgabe Januar/Februar 2023

geschrieben von Nils Becker

7. Januar 2023

»Wir leben in einer Epoche des Gegenwinds«, ließ Bundespräsident Steinmeier schon vor zwei Monaten in seiner Grundsatzrede zum Ukrainekrieg verlautbaren. Bereits seit März letzten Jahres wird auf »raue Zeiten« und tiefe Einschnitte vorbereitet, um dem Anspruchsdenken der Bürger*innen gegenüber der Politik zu begegnen. Gelockt wird mit einer neuen nationalen Souveränität und Widerstandsfähigkeit – der »Krieg als Chance« sozusagen.

Statt sich über die Folgen der Inflation, den Zustand des Gesundheitssystems oder den deutschen Beitrag zum Klimawandel zu beschweren, mögen die Landsleute aus Solidarität zur Ukraine Widersprüche und vor allem die Verlängerung des Krieges auf dem Weg zum »gerechten Frieden« aushalten. Um diesen Anspruch des Staates an seine Bürger*innen zu untermauern zog Steinmeier nun auch in seiner Weihnachtsansprache die Kennedy-Karte: »Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.« Dabei gibt es zusätzlich eine Wendung in seiner Rhetorik: Die »Pflicht zur Hoffnung« definiert leider seine Wahrnehmung. Angeblich leben wir in bereits praktizierter Großherzigkeit, in frommer Offenheit gegenüber Fremden und in einem geeinten Europa.

Die Realität spricht bekanntlich eine ganz andere Sprache. Aber diese soll nicht mehr Kern von Auseinandersetzungen sein. Die Solidarität mit den ukrainischen Kriegsgeschädigten wird von Steinmeier untrennbar mit dem Einverständnis zur Politik der Bundesregierung verknüpft. Wie erfolgreich diese verlogene Strategie ist, zeigen die eher schwach besuchten Demos der progressiven Sozial- und Antikriegsbündnisse im Herbst. Wir wollten in dieser Ausgabe eigentlich auch Zuversicht verbreiten, begnügen uns aber damit zu sagen, was ist, und nicht, was wir uns wünschen. In 2023 werden die Konflikte des vergangenen Jahres fortgeführt, und wir sind angehalten, uns diesen Herausforderungen frohen Mutes und aus unserer antifaschistischen Perspektive zu stellen.

Inhalt

Zeitgeschehen

Werte und Politik – Rolle für Friedensbewegung (Regina Girod)
Maschendraht und Brandmauern (Silvio Lang)
Razzien bei der »Patriotischen Union« (Ulrich Peters)
Ziel: Ertrinkenlassen (Sea-Watch)
Lebt der »Flügel« erneut auf? (Janka Kluge)
Wieder mehr rassistische Brandanschläge (Nils Becker)
Keine Zeit verlieren (Liliana Segre)
Interview mit Rita Belter: Antifa-Ost-Verfahren (Nils Becker)
Meldungen
Interview mit Frank Nonnenmacher: »Aus dem Raster gefallen« (Andreas Siegmund-Schultze)
Vorurteile töten. Wen Polizeischüsse treffen (Ulrich Stuwe)
Antifeminismus als Ticket (Darline, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Koblenz/Mittelrhein und AG Antifeminismus des Bundesverbandes Mobile Beratung e.V., BMB)
Archivfundstück: Umgang mit NS-Mördern (Regina Girod)
Würdigung für Luise Gutmann (Waltraud Bierwirth)

Spezial

»Holodomor« – Hungerkatastrophe als Genozid? (Maxi Schneider)

Porträt

Ernst Grube – ein Mahner, der anspornt (Friedbert Mühldorfer)

Geschichte

Hitlers Fürsprecher: Weg ins Dritte Reich (3/5) (Ulrich Schneider)
Rechter Personenkult in Südafrika (Andreas Bohne)

Internationales

Alpen und Widerstand (Peps Gutsche, Kim Dresel und Sophie Preibisch)
Kurdistan: Im »Nahen Osten« nichts Neues (Wanja Musta)

Kultur

»Colonia Dignidad«: Verharmloster Terrorort (Axel Holz)
Wendepunkt der Geschichte (Ludwig Elm)
Konfusion in Debatte von Historikern (Sebastian Schröder)
Zerstörung brechen (Friedrich Burschel)
Im Grunde gut – optimistisches Menschenbild (Emma Sammet)
Mythos und Epos (Reinhold Weismann-Kieser)
Wertvoller Lesestoff: Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur (Gerald Netzl)
Wie divers ist Ausbeutung? (Janka Kluge)
Elise Ewert: Durch Höhen und Tiefen (Ronald Friedmann)
Resistenza – Beschreibung hautnah (Michael Mallé)
Lockdown und Provinz (Peps Gutsche)