Antifeminismus als Ticket

geschrieben von Darline, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Koblenz/Mittelrhein und AG Antifeminismus des Bundesverbandes Mobile Beratung e.V. (BMB)

7. Januar 2023

Neue Studie zu Folgen und Erkenntnissen in der Autoritarismusforschung

Wie die im November 2022 erschienene Autoritarismusstudie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, sind antidemokratische, autoritäre und rechte Einstellungen in der Gesellschaft weder verschwunden noch zurückgegangen. Motive und Inhalte haben sich lediglich verschoben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Auffällig sind die zunehmende Verbreitung antifeministischer und sexistischer Einstellungen sowie deren vielschichtige Verbindungen zu weiteren Erscheinungen extrem rechter Gesinnungen. Autoritäre Überzeugungen stehen hiernach in einer signifikanten statistischen Verbindung sowohl zu Antifeminismus als auch zu Sexismus.1

In Abgrenzung zu misogynen Einstellungen und zum Sexismus als Diskriminierungsform tritt der Antifeminismus selbst als aktive, politische Bekämpfung jeglicher Art und Ausdrucksweise von Feminismus, gesellschaftlicher Emanzipation und der Liberalisierung der Geschlechterbilder zutage. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den differenzierten Themen und Forderungen feministischer Strömungen findet dabei nicht statt. Feminismus wird innerhalb rechtsautoritärer Gesinnungen als machtvolle und homogene Bewegung vulgarisiert, die es, zur Aufrechterhaltung heteronormativer und autoritärer Herrschaftsverhältnisse, aktiv zu bekämpfen gilt.

Antifeminismus kann in diesem Kontext als dezidiert autoritäre Reaktion2 verstanden werden, bei der Komplexitäten und Ambivalenzen gesellschaftlich relevanter, geschlechterdemokratischer Fragen sowie emanzipatorischer, feministischer Anliegen vermeintlich simplifiziert und innerhalb eines undifferenzierten Schwarz-Weiß-Denkens bewertet werden. Indessen sind Mehrdeutigkeiten ausnahmslos indiskutabel, wodurch eine autoritär-implizierte Konfliktruhe, einhergehend mit einem Gefühl von Kontinuität und Konstanz, konstruiert werden soll. Diese patriarchale Fiktion der natürlichen Hierarchie der Geschlechter wird durch feministische Bewegungen demaskiert, wenn sie sich sowohl für die Anliegen von Frauen* und darüber hinaus für die Gleichberechtigung aller und den Erhalt der Demokratie einsetzen.

Decker, O.; Kiess, J.; Heller, A.; Brähler, E. (Hg.) (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Psychosozial-Verlag, Gießen, 492 Seiten, 29,90 Euro

Decker, O.; Kiess, J.; Heller, A.; Brähler, E. (Hg.) (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Psychosozial-Verlag, Gießen, 492 Seiten, 29,90 Euro

Feministische Akteur*innen werden infolgedessen zum bedeutungsvollsten Feindbild von Antifeminist*innen. Diese unbedarfte Abwehrhaltung durch Antifeminist*innen lässt sich auf die Fragilität hegemonialer Männlichkeit3 zurückführen, die demnach lediglich in Abgrenzung zur Weiblichkeit existiert. Feminist*innen entkräften durch emanzipatorische Forderungen das Bild der untergeordneten Weiblichkeit – dem essenziellen Pfeiler der hegemonialen Männlichkeit, auf dem patriarchale Hierarchien aufbauen – und damit die existenzielle Bedingung zur Konstruktion von Männlichkeit.

Die im Rahmen der Pandemie angestiegene Verbreitung verschwörungsideologischen Denkens, wie die des »Great Reset«, schüren eine emotional aufgeladene Angst vor einem Austausch der bestehenden autoritären, patriarchalen Geschlechterverhältnisse und dem damit verbundenen Verlust vermeintlich natürlich prädeterminierter Privilegien. Muslimische Menschen, Jüd*innen und der Feminismus/Frauen* werden indessen als die drei bedeutsamsten Feindbilder gebündelt und als Bedrohung porträtiert. AfD-Politiker Björn Höcke bringt seinen Wahn der Verteidigung traditioneller Familienbilder gegen Feminist*innen in kruden Reden vor 10.000 Menschen zum Ausdruck und findet Zustimmung. Auf Social Media bespielen Akteure wie Jordan Peterson und Andrew Tate erfolgreich und konsequent ihre Kanäle mit offenkundigem Sexismus, Antifeminismus und Misogynie.

Antifeministische Strategien, Vernetzungen und Gruppen haben sich gesamtgesellschaftlich etabliert. Sie finden neue Wege, sich und ihre archaischen Vorstellungen in die Gesellschaft zu tragen. Dabei attackieren sie Personen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen oder ihren Ideen entgegenstehen beispielsweise durch Anfeindungen im Netz, Drohungen und Hate Speech. Diese Einstellungen bieten nicht nur einen Nährboden für extreme Positionen, sie verfestigen sich und schreiten fort bis hin zu tödlicher Gewalt, wie in Isla Vista, Utøya, Christchurch, Halle und Hanau.4

Antifeminismus kann infolge der Autoritarismusstudie 2022 als fester Bestandteil autoritärer Einstellungen betrachtet werden. Die Relevanz des Antifeminismus für den Zugang zu extrem rechten Einstellungen und damit verbundenen Gewalttaten ist nicht zu verkennen, da sich im Antifeminismus sowohl autoritäre, bürgerlich-konservative, rechtsextreme und liberale Strömungen verbinden. Es wird ein deutliches Versäumnis der Beachtung des Antifeminismus in der Autoritarismusforschung der letzten Jahre erkennbar. Sexismus und Antifeminismus sind nicht nur in der extremen Rechten, sondern insbesondere auch weit darüber hinaus, in der gesellschaftlichen Mitte, weit verbreitet und haben eine klare, fundamentale Wirkung auf die Ausformung rechtsautoritären Denkens. Antifeminismus in der geringsten Ausprägung ist wie eine lockende Einstiegsdroge in den Autoritarismus.

1 Kalkstein, F.; Pickel, G.; Niendorf, J.; Höcker, C., Decker, O.: 8. Antifeminismus und Geschlechterdemokratie. In: Decker, O.; Kiess, J.; Heller, A.; Brähler, E. (Hg.) (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus Studie 2022. Gießen: Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG

2 Höcker, C.; Niendorf, J. (2022): Antifeminismus als autoritäre Konfliktabwehr. Blog interdisziplinäre geschlechterforschung. 14.06.2022, www.gender-blog.de/beitrag/antifeminismus-als-autoritaere-konfliktabwehr/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220614

3 Conell, R. W. (2005): Masculinities. Second Edition. Cambridge: Polity Press

4 Brate, M., Sumorai, A. (2022): Alles Einzelfälle? Misogyne und sexistisch motivierte Gewalt von rechts. Amadeu Antonio Stiftung. Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus