Alpen und Widerstand

geschrieben von Peps Gutsche, Kim Dresel und Sophie Preibisch

7. Januar 2023

Eine Bildungsreise zu NS-Gegner_innenschaft und Vernichtung im Salzkammergut

Mitte Oktober reiste eine Gruppe von 30 Antifaschist_innen, organisiert vom Alternativen Kultur- und Bildungszentrum Pirna (AKuBiZ), in das österreichische Salzkammergut, um sich mit der dortigen Geschichte während der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit der VVN-BdA Märkisch-Oderland und Interessierten diente die Reise der Vernetzung und dem Austausch. Auf Wanderungen und bei Gedenkstättenbesuchen in der ehemaligen Tötungsanstalt Schloss Hartheim sowie in den damaligen KZs Ebensee, Vöcklabruck, Redl-Zipf und Lenzing wurde sich mit Fragen von Widerstand, Gedenken und Erinnerungskultur beschäftigt.

In idyllischer Alpenlandschaft und bei sommerlichen Temperaturen wanderte die Gruppe zur Rettenbachalm. Dort befand sich 1944/45 unter dem Namen »IGEL« ein Versteck von österreichischen Widerstandskämpfern aus der Region, die sich dort in einem wenig zugänglichen Gebiet einen Unterschlupf einrichteten, um der Verfolgung durch SS und Gestapo zu entgehen. Das Versteck wurde nie entdeckt und die Gruppe durch die Bäuerinnen der Alm mit Nahrung versorgt. Bis auf Karl Feldhammer, der bei einem Besuch bei seiner Familie von der Gestapo entdeckt und erschossen wurde, erlebten die Aktiven der IGEL-Gruppe das Kriegsende.

Bei einer weiteren Wanderung ging es auf den Pitschenberg auf der Fluchtroute des Kommunisten Sepp Plieseis. Dieser floh im Oktober 1943 aus dem KZ Hallein. Seine Flucht wurde ermöglicht durch dortige Arbeiterinnen, maßgeblich Agnes Primocic. Sepp Plieseis blieb nach seiner Flucht in den Bergen und baute von dort die Widerstandsgruppe »Willy Fred« auf. Deren Ziel war es, Deserteure aus der Region vor der Wehrmacht zu verstecken.

Kampf um Erinnerungskultur

In der Tötungsanstalt Schloss Hartheim wurden etwa 30.000 Menschen ermordet. Zwischen 1940 und 1941 ließ die SS dort im Rahmen der »Aktion T4« Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen töten. Ab August 1941 wurden die ersten Häftlinge aus Konzentrationslagern in Hartheim ermordet. Die ansässige Bevölkerung wusste von den Tötungen, und es herrschte ein freundschaftlicher Austausch zwischen Anwohner_innen, SS-Angehörigen und Pfleger_innen. Nach dem NS wurde das Haus bis in die 2000er Jahre als Wohnhaus genutzt. Heute befindet sich im Schloss eine Gedenkstätte, die eng mit dem Institut Hartheim zusammenarbeitet, einer Einrichtung für die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Behinderungen. Einige Bewohner_innen des Instituts Hartheim wirkten auch an der Ausstellung »Der optimierte Mensch« mit, welche sich bioethischen Fragen zum Wert menschlichen Lebens nähert.

Die Gedenkwanderung führte auch zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee, ein Außenlager des KZ Mauthausen in Oberösterreich. Foto: privat

Die Gedenkwanderung führte auch zum Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee, ein Außenlager des KZ Mauthausen in Oberösterreich. Foto: privat

Nur noch der Stollen und ein angrenzender Friedhof erinnern an das KZ Ebensee. Durch das ehemalige Eingangstor befährt man heute ein Siedlungsgebiet mit Einfamilienhäusern. Im KZ Ebensee mussten 27.000 Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen Bergstollen ausheben, die nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde der weiteren Produktion der V2-Rakete dienen sollten. Mehr als 8.000 Menschen wurden im KZ ermordet. Seit Ende der 90er Jahre wurde auf Wunsch ehemaliger Häftlinge einer der Stollen als Gedenkort mit einer Dauerausstellung über die dortigen Geschehnisse eingeweiht. Viele Firmen wie beispielsweise Siemens bereicherten sich an den kaum arbeitsfähigen und kranken Häftlingen, indem sie diese für sich unter firmeneigenen Vorarbeitern Zwangsarbeit verrichten ließen. Im Mai 1945 wollte der Lagerkommandant die verliebenen 18.000 Häftlinge in die Stollen treiben und die Zugänge sprengen. Die Betroffenen weigerten sich jedoch, die Stollen zu betreten, sodass die SS vor den anrückenden US-amerikanischen Streitkräften floh und die Häftlinge im KZ sich selbst überließ. 2009 kam es bei der jährlichen Gedenkfeier zu einem Angriff rechter Jugendlicher mit Softair-Waffen, bei dem ein KZ-Überlebender am Hals verletzt wurde.

Gedenken in Widersprüchen

Bei einer antifaschistischen Stadttour durch Salzburg, geleitet von Mitgliedern des Alpine Peace Crossing, wurde sich der historischen Besonderheit Österreichs als Staat, der bereits vor dem »Anschluss« 1938 den sogenannten Austrofaschismus etabliert hatte, und der dichten Geschichte der Stadt angenähert. Diese zeigt sich insbesondere auch in den unterschiedlichen Denkmälern in der Stadt. Neben einem Denkmal für »Turnvater« Jahn aus den 1920er Jahren, das nach den 1950er Jahren um »Unsere Ehre hieß Treue« ergänzt wurde und somit direkt auf den Leitspruch der SS rekurriert, gibt es seit Anfang der 2000er Jahre ein antifaschistisches Mahnmal in der Nähe des Bahnhofs, das an die von dort deportierten Verfolgtengruppen erinnert. Die nationale Erzählung, Österreich sei das erste Opfer der Nationalsozialisten gewesen, war lange Zeit wirkmächtig und führte erst seit dem Ende der 1980er Jahre zu einer Gedenkkultur, welche auch die systematische eigene Beteiligung an den Verbrechen der Nazis aktiver thematisiert.

Bildungsreisen sind eine besondere Form des Urlaubs, die der beruflichen oder politischen Weiterbildung dienen sollen. Durch Beschäftigte können diese nahezu bundesweit in Anspruch genommen werden, regional gibt es aber einige Besonderheiten. Zahlreiche Vereine, Stiftungen oder sonstige Organisationen veranstalten Bildungsreisen. Das Angebot ist riesig, vielfach kann im Rahmen von Bildungsreisen auch antifaschistische Erinnerungsarbeit gestaltet werden. Hier tun sich neben dem AKuBiZ Pirna beispielsweise auch zahlreiche Landesverbände der Rosa-Luxemburg-Stiftung hervor oder die vom DGB getragene Organisation »Arbeit und Leben«