Zerstörung brechen

geschrieben von Friedrich Burschel

7. Januar 2023

Sehr diverse Weltanschauung und Kultur: Zwei ABG-Bände zu Antifaschismus

Dieser Beitrag ist in der Print-Ausgabe der antifa in einer gekürzten Fassung erschienen

»Wissen Sie, wir haben alles unternommen, um diese heranrollende Woge von Unmenschlichkeit und Zerstörung zu brechen«, sagte die weltberühmte Fotografin Gisèle Freund einmal in der Rückschau auf ihre Zeit bei einer der »Roten Studentengruppen« in den frühen 1930er Jahren. Der Beitrag zu diesen antifaschistischen Gruppen, die sich angesichts der zunehmenden Gewalt und Präsenz von Nazistudierenden und brauner Straßengewalt auch außerhalb der Unis bildeten, gehört aus mehreren Gründen zu den elektrisierendsten Aufsätzen der beiden Hefte der Zeitschrift für historische Studien Arbeit – Bewegung – Geschichte (ABG). Man liest ihn atemlos und voll Bewunderung für diese entschlossenen jungen Studierenden, die es vermochten, politische Gräben zu überwinden und sich den immer gewalttätiger auftretenden Nazis auch körperlich entgegenzustellen. Diese Gruppen bestanden zum einen ja aus jungen Menschen eher bürgerlicher Herkunft (z. B. Klaus Gysi, Golo Mann, Richard Löwenthal), und zum anderen waren 34 Prozent der etwa 500 Mitglieder Frauen.

»Ursprünglicher« Antifaschismus dekonstruiert

Dieser Umstand ist deshalb von so großer Bedeutung, weil in den beiden Heften die Rolle von Frauen und später von LGBTQIA+- Aktivist*innen, aber auch von Rassismus und Kolonialismus für die Betroffenen vertieft in den Blick genommen und damit eine Grundkonstante des in den 1920er Jahren entstehenden »ursprünglichen« Antifaschismus dekonstruiert wird.

Es sind die Vorstellungen von Geschlechterrollen und der prägende Einfluss von Krieg und Gewalt als Ausdrucksformen von Männlichkeiten, die bestimmend sind für die Selbstbilder und Fremddefinitionen des entstehenden Antifaschismus. Das ist zur Historisierung der Anfänge des Antifaschismus von entscheidender Bedeutung, auch um zu verstehen, wie lange es gedauert hat, bis diese »toxischen« Selbstbilder massiv von Frauen, queeren Menschen und »unmännlichen« Männern in Frage und zur Disposition gestellt wurden. Dieser Prozess ist bei weitem bis heute nicht abgeschlossen, wie sich anhand der sehr lesenswerten Beiträge (im zweiten Band) etwa von Almut Degener und Christin Jänicke, in Yves Müllers Aufsatz zu antifaschistischen Männergruppen und passim auch in anderen Beiträgen (wie im Diskussionsteil und in den Rezensionen) nachvollziehen lässt.

Arbeit – Bewegung – Geschichte – Zeitschrift für historische Studien. Hefte 2022/II »Der ursprüngliche Antifaschismus« und 2022/III »Der Antifaschismus seit 1945«, Metropol-Verlag, Berlin 2022, Heftpreis jeweils 14 Euro, Bestellmöglichkeit über arbeit-bewegung-geschichte.de

Arbeit – Bewegung – Geschichte – Zeitschrift für historische Studien. Hefte 2022/II »Der ursprüngliche Antifaschismus« und 2022/III »Der Antifaschismus seit 1945«, Metropol-Verlag, Berlin 2022, Heftpreis jeweils 14 Euro, Bestellmöglichkeit über arbeit-bewegung-geschichte.de

Jetzt ist es ja so, dass kaum jemand ein Fachperiodikum wie dieses zur Geschichte der Arbeiter*innenbewegung von vorne bis hinten durchliest oder auch nur den Schwerpunkt zur Gänze studiert. Das muss er*sie aber tun, um den – nach der Emanzipation von Frauen und queeren Menschen in antifaschistischen Kontexten von den Roten Studentengruppen über Kämpferinnen im Spanischen Bürgerkrieg, im europaweiten Widerstand gegen Nazideutschland bis zu heutigen antifaschistischen Kämpfen – nächsten Schritt zu gehen und Antifaschismus auch als antirassistische Praxis und notwendig antikoloniales Movens zu verstehen. Der germanozentrische Claim – ungeachtet der Arditi del Popolo – mit Thälmanns Ausrufung der Antifaschistischen Aktion 1932 auf Erfindung, Branding und kommunistisches Copyright am Antifaschismus und die eurozentrische Eingrenzung des wahren Antifaschismus auf den europäischen Widerstand gegen Franco, Mussolini und Hitler geht über andere wichtige Formen antifaschistischen Widerstands in anderen Teilen der Welt hinweg, weil antikoloniale und antiimperiale Kämpfe in so einem antifaschistischen Verständnis kaum oder schlicht gar nicht vorkommen. Sehr spannend ist hier die vierteilige Diskussion zum Buch »Anti-Facism in a Global Perspective«, in welcher die Herausgeber Kasper Braskén, Nigel Copsey und David Featherstone und ihre Rezensent*innen Stefan Berger, Lisa A. Kirschenbaum und Stephen Ashe zu Wort kommen. Durch die Positionierung dieses eigenwilligen Beitrags eher am Ende des zweiten Bands scheint er jedoch fast aus dem Schwerpunkt zu kippen, obwohl er von ausschlaggebender Bedeutung ist für kommende Diskussionen über die ausstehende Einbeziehung Schwarzer, Indigener oder, allgemeiner, antikolonialer Stimmen in die Geschichtsschreibung zu einem globalen Antifaschismus. Wer hat denn schon etwas von »rassistischem Faschismus« (ist das nicht tautologisch?), von karibischem, tropischem oder brasilianischem Antifaschismus, von antifaschistischen Akteur*innen in Indien, Abessinien (heute: Äthiopien) und Südafrika gehört, um den »intersektionalen Charakter« und den transnationalen Anspruch internationaler Solidarität zu begreifen? Auf diese Weise, so replizieren die Herausgeber der erwähnten Veröffentlichung auf die Rezensent*innen, »können Transfers, Trennungen und Brüche in globalen und lokalen antifaschistischen Kulturen im Hinblick auf Militanz, Geschlechterpolitik, Antirassismus, Antikolonialismus zwischen den Generationen auf der ganzen Welt« aufgedeckt werden und lassen sich die »Begriffe, mit denen Antifaschismus verstanden wird, ›ausdehnen‹ und neu konfigurieren«.

Aber geht das so einfach? Ist nicht eine dezidierte und historisierende Definition dessen notwendig, was der Faschismus sei, gegen den sich Antifaschismus ursprünglich formierte? Im Laufe von 100 Jahren differenziert er sich dann aus und entwickelt sich zu einer eigenen linken, sehr diversen Weltanschauung und Kultur, in der die humane Orientierung, die es zu verteidigen gilt, im Mittelpunkt steht. Wenn es mit den beiden Bänden gelingt, hier den Debattenaufschlag zu liefern, wäre man auch bereit, über ein paar konzeptionelle Leerstellen hinwegzusehen. Schon der erste Aufsatz nach der Einleitung zum ersten Band von Giorgos Chraniotis wirft uns in eine historische griechische Situation nach dem verlorenen Krieg gegen die Türkei Anfang der 1920er Jahre und in die daraus resultierenden sozialen und politischen Verwerfungen. Ohne eine notwendige Einführung wird hier ein Faschismusbegriff aus den Quellen zitiert, der nicht kontextualisiert wird und dessen Herkunft und Inhalt amorph bleibt: Es wird im Wesentlichen der Widerstand von Soldaten, Veteranen und auch Bauern gegen eine autoritär-diktatorische griechische Obrigkeit geschildert. War das – beim Heiligen Roger (Griffin) – tatsächlich »antifaschistischer Widerstand«? Sind antikoloniale Kämpfe per se antifaschistisch? Ist es der Schwarze Kampf gegen die durch und durch rassistische US-Sklavenhaltergesellschaft? These: Ohne moderne Faschismusdefinition lässt sich auch der Antifaschismus nicht richtig bestimmen.

Viele interessante Anknüpfungspunkte

Es sei denn, es soll der Antifaschismus weit über seine historischen und Namen gebenden Bezüge zurück zum italienischen Faschismus als etwas viel Universelleres und Eigenes beschrieben und erweitert werden. Für den Beginn einer Diskussion dieser Fragen liefern die beiden ABG-Bände viel Stoff und viele interessante Anknüpfungspunkte und Beiträge: Zu nennen sind hier osteuropäische Perspektiven zur tschechoslowakischen Skinhead- und Punkkultur (Daniel Ondřej, Miroslav Michela) oder zum polnischen Gedenken an seine Spanienkämpfer (Agnieszka Balcerzak), ein Beitrag zur Geschichte der Falken im Nachkriegsdeutschland (Maria Daldrup, Wolfgang Uellenberg-van Dawen) und zu faschistischen Kontinuitäten in der Bonner Republik (Martin G. Maier). So gut die klammernden Einführungen in beiden Bänden sind, sie tragen nicht wirklich durch die etwas diffuse Auswahl von Themen. Aber es fehlen eben auch einige wichtige Aspekte, etwa das Thema Shoah und jüdischer Widerstand und Antifaschismus, oder es wird Platz für eher nicht prioritäre Themen wie die biografische Studie zu Richard Acland frei gemacht. Und ein Beitrag wie der stark extremismusdoktrinär wertende Aufsatz von Sara Ann Sewell zur kommunistischen Ritualisierung und Instrumentalisierung von Trauermärschen durch die KPD wäre verzichtbar gewesen. Dieser gipfelt in dem Schlusssatz: »Indem sie sich mit der Polizei und SA-Männern bekämpften, trugen die antifaschistischen Trauernden in nicht geringem Maße zum Anstieg der Straßengewalt bei, welche die späte Weimarer Politik dominierte und den Untergang der Republik beschleunigte.« Das ist schlicht Quatsch, das Schicksal der Republik war zu jener Zeit längst besiegelt.

Friedrich Burschel war zwölf Jahre lang mit dem Schwerpunkt Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit an der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung betraut und leitet heute das Büro der Stiftung in Griechenland.