Ein unbeirrter Dialektiker

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Dem Historiker Ernst Engelberg zum 100. Geburtstag

Mai-Juni 2009

Gerade erschienen

Ernst Engelberg: »Die Deutschen – Woher wir kommen« Karl Dietz Verlag Berlin 2009. ISBN 978-3-320-02170-2, 351 Seiten, 29.90 EUR

Noch lieferbar

Ernst Engelberg: »Bismarck – Urpreuße und Reichsgründer« Siedler Verlag 1985, SBN-10: 3886801217, 839 Seiten

Ernst Engelberg: »Bismarck – Das Reich in der Mitte Europas« Siedler Verlag 1990, ISBN-10: 3423303468, 600 Seiten

Der Historiker Ernst Engelberg kann die Glückwünsche zu seinem 100. Geburtstag im Kreise seiner Familie, seiner Freunde und der inzwischen selbst betagten Schüler persönlich entgegennehmen. Alle zehn Dekaden seines Lebens spiegeln widerständige, linke Geschichte: Sein Elternhaus im Badischen war Treffpunkt von 1848ern. Lieder vom Zorn gegen menschenunwürdige Zustände und von der Hoffnung, dass diese Verhältnisse veränderbar sind, wurden ihm schon an der Wiege gesungen. Sein Vater, gab die »Schwarzwälder Volksstimme« heraus. Die Mutter erlebte er als eine »hochpolitische« Frau, die z.B. den großsprecherischen Wilhelm II. verspottete. Voller Anerkennung erinnert sich Engelberg »… je mehr die Weimarer Republik sich nach rechts orientierte, desto linker wurde mein Vater.« Darum wählte er von 1930 bis 1933 die Kommunisten; schon 1934 wurde er verhaftet. Bei dem heranwachsenden Sohn Ernst musste Interesse und Verständnis für Politik und Geschichte nicht erst geweckt werden, denn er erlebte politische Konflikte hautnah und begriff, dass Machthaber und Machtlose in derselben Geschichte höchst unterschiedliche Erfahrungen machen.

Im Hause des Reichstagsabgeordneten der SPD, Adolf Geck, der mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht befreundet war, las er schon als Gymnasiast deren Bücher und persönliche Briefe. Und die Witwe von Kurt Eisner, dem bayerischen Ministerpräsidenten, der 1919 von reaktionären Kräften ermordet worden war, half ihm in freundschaftlicher Zuwendung Widersprüche wahrzunehmen und politische Zusammenhänge zu durchschauen.

Als Engelberg dann ab 1929 in Berlin studierte, trat er dem Kommunistischen Jugendverband bei, wo er Nathan Steinberger und Max Kahane kennenlernte, mit denen er gegen Nazi-Studenten in der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität kämpfte. Ihr Kampf gegen den Faschismus hat sie ihr Leben lang verbunden.

1934, nur vier Tage nach der Verteidigung seiner Promotion »Die deutsche Sozialdemokratie und die Bismarcksche Sozialpolitik«, wurde Engelberg verhaftet und wegen Hochverrats zu 1½ Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung emigrierte er umgehend in die Schweiz. Später konnte er durch Vermittlung von Max Horkheimer in die Türkei gehen. Obwohl dort keineswegs eine kommunistenfreundliche Politik herrschte, war Ata Türk für seine neugegründete Universität in Ankara sehr an Intellektuellen aus dem Ausland, besonders aus Deutschland, interessiert. Engelberg bekam eine Stelle als Lektor für Deutsch.

Sein Freund Kahane meldete sich für den Spanischen Bürgerkrieg, um den Faschismus Francos zu bekämpfen. Nathan Steinberger war bereits 1932 an ein Landwirtschaftsinstitut in Moskau gegangen. Er ist dann der Säuberungspolitik Stalins zum Opfer gefallen und hat grausame Jahre im Gulag Solymar erleben müssen. Die Überlebenswege der drei Freunde während der Emigration konnten nicht unterschiedlicher sein. Nach der Rückkehr nach Deutschland fanden sie sich auf der »Geschichtsbaustelle DDR« wieder und übernahmen hochmotiviert in Geschichtswissenschaft, Landwirtschaftsökonomie und im Journalismus wichtige Aufgaben. Sie waren überzeugt, dass nach der deutschen Katastrophe die Bevölkerung bereit sei, auf der Grundlage einer marxistischen Analyse eine Gesellschaft zu schaffen, die Faschismus ächtet und Kriege abschaffen wird. Antifaschismus war für sie keine staatlich verordnete Doktrin, sondern eine in lebensgefährlichen Situationen gereifte Überzeugung.

Engelberg hat hochbetagt, aber wachen Geistes, die Wende erlebt. Er war von dem radikalen Revisionismus der Wiedervereinigung und der in ihren ehemaligen Tätigkeitsbereichen praktizierten »Abwicklungen« entsetzt. Jahrzehntelang hatte er sich in der DDR für eine dialektische Betrachtungsweise der Probleme und einen offensiv analytischen Umgang mit den eskalierenden Widersprüchen eingesetzt. Nun fühlte er sich einem fundamentalistischen Antikommunismus preisgegeben, wie er ihn in der Weimarer Republik kennengelernt hatte und in den ersten Jahren des Faschismus selber als Verfolgung leidvoll erleben musste.

Wir danken dem Jubilar für seine unermüdliche Arbeit auf vielen Ebenen, die er als Verständnishilfe zur Gesellschaftsanalyse und zum Geschichtsverständnis geleistet hat.

An dieser Stelle soll auch Waltraud Engelberg (sie arbeitet aktiv im BdA Treptow mit) gedankt werden, die als Germanistin großen Anteil an seiner Arbeit hat und die in Fürsorge auch seine schwindenden Kräfte zu stützen weiß.

»Wohl aber liegt mir nach wie vor«, so Engelberg, »an einer Alternative zur zunehmenden Barbarei gegen Mensch und Natur in aller Welt, eine Alternative, die wahrscheinlich nur in Form eines historischen Kompromisses zustande kommen kann. Darüber muss weiterhin viel und von Vielen nachgedacht werden. …«

Das Versprechen, sich daran aktiv zu beteiligen, heißt wohl dem Jubilar zum 100. Geburtstag angemessen zu gratulieren.