Erinnerung im Wandel

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Gegensätzliche Geschichtsperspektiven im Diskurs

Nov.-Dez. 2010

Im Schweriner Dokumentationszentrum Deutscher Diktaturen, so der umstrittene Name der Gedenkstätte im Justizgebäude am Demmlerplatz, befinden sich Ausstellungen über drei Epochen deutscher Geschichte, die die Seminarteilnehmer besuchten. Die Dokumente der Ausstellung widmen sich den NS-Sondergerichten, der Militärjustiz der sowjetischen Militäradministration und den Opfern der politischen Justiz in der DDR.

Das 54. Gedenkstättenseminar der Bundeszentrale für Politische Bildung thematisierte Perspektiven der Einnerungskulturen 20 Jahre nach der deutschen Einheit.

In diesem Seminar sollte es um die aktuellen Fragestellungen der Erinnerungs- und Geschichtspolitik sowie ihre Auswirkungen auf die historisch-politische Bildung gehen, so die Ankündigung. Dabei sollten folgende Fragen diskutiert werden: Wie gehen wir mit Orten mit einer mehrfachen Vergangenheit um? Was heißt mehrfache Geschichtsaufarbeitung für die historisch-politische Bildung und praktische Gedenkstättenarbeit? Und was bedeuten die deutschen Vergangenheiten für die Geschichtsvermittlung in einer Einwanderungsgesellschaft?

Nicht zufällig hatten die Initiatoren Schwerin als Veranstaltungsort ausgewählt, denn in Mecklenburg- Vorpommern gibt es sowohl Orte einer aktiven Erinnerungsarbeit für verschiedene Zielgruppen als auch Orte mit mehrfacher historischer Bedeutung. So stellen sich die Gedenkstätten Wöbbelin als Ort grausamer Nazi-Verbrechen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und zugleich als Erinnerungsort an den vielfach instrumentalisierten Befreiungskampf gegen die napoleonische Besetzung dar. Darauf muß sich Gedenkstättenleiterin Ramona Ramsenthaler einstellen und den Besuch konservativer Verehrer Theodor Körners ebenso begleiten und koordinieren, wie die Schülerprojekte und den mittlerweile zunehmenden internationalen Besuch der Enkelgeneration von Opfern des NS-Regimes. Im Konzentrationslager Wöbbelin wurden für wenige Wochen Tausende Menschen aus zahlreichen Nationen auf dem Todesmarsch aus anderen KZs in noch unfertigen Unterkünften ohne ausreichende Nahrungsversorgung eingepfercht. Hunderte starben innerhalb kurzer Zeit. Mit einem anspruchvollen pädagogischen Programm versucht die Gedenkstätte im Rahmen eines vom Landkeis getragenen Vereins die Erinnerung an dieses Geschehen mit Angeboten von der Grundschule bis zum Jugendcamp wachzuhalten.

Ein tragendes Thema des Seminars war die Gestaltung der Gedenkarbeit vor dem Hintergund des Ablebens der Zeitzeugen und der Verabschiedung der westdeutschen Aufarbeitungsgeneration der NS-Verbrechen in den Ruhestand. Im Osten mußte diese Generation bereits vor zwanzig Jahren für eine Gedenkstättenarbeit das Feld zu räumen, die in den letzten Jahrzehnten sichtbare Fortschritte gemacht hat, sich aber zugleich für einen Delegetimierungsauftrag gegenüber der DDR-Geschichte instrumentalisieren ließ. Diesen Auftrag bestätigte Prof. Dr. Thomas Großbölting in seinem Referat ausdrücklich. Seiner Auffassung nach gefährde diese zunächst sinnvolle Delegitimierungsstrategie gegenüber der DDR auf Dauer aber Wissenschaft und Erinnerungsarbeit in ihrer Glaubhaftigkeit. Es bestehe die Gefahr einer Ikonisierung der Geschichte. Diese, Kommunikation eher verhindernde Strategie, müsse einer vielschichtigen Geschichtsbetrachtung weichen, in der die Geschichte der Institutionen und die erzählte Geschichte der Menschen in ihrer Dynamik gezeigt werden. Prof. Großbölting zielte damit wohl auf die Tatsache, dass die Angebote einer ideologisierenden Aufarbeitung der DDR-Geschichte bei vielen Ostdeutschen nicht nur auf Skepsis stößt, sondern die erzählte familiäre Geschichte, die idententitätsstiftend auf die folgende Generation übertragen wird, zunehmend mit dem »offiziellen« Geschichtsbild zu kollidieren droht. Wie weit sich der innovative Erinnerungsansatz des Professors aus Münster durchsetzen wird und mit Inhalt zu erfüllen ist, bleibt abzuwarten. Übergreifend wurde auf dem Seminar die zukünftige Ausrichtung der Erinnerungsarbeit diskutiert. Die Referenten warnten vor der Vermittlung von Schuldkomplexen und einer Ritualisierung des Lernens aus der Geschichte. Die kritischen Phasen der deutschen Geschichte müßten in all ihren Facetten zu einem festen Bestandteil der kollektiven Erinnerung werden. Etwas kurz gerieten die in der Agenda angekündigten Antworten auf die spezifische Geschichtsvermittlung in der Einwanderungsgesellschaft. Die rudimentären Ansätze des Seminars sollten als Auftrag für künftige Diskussionen verstanden werden.