Jetzt müssen wir handeln!

geschrieben von Gerd Graw

5. September 2013

Salzgitter: Allianz gegen Rechts als Antwort auf den Naziterror

März-April 2012

Azubis des VW-Werkes Salzgitter diskutieren im Rahmen der Ausstellung mit dem Sprecher des »Bündnis gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit«

Als am 1. November in Salzgitter die DGB-Ausstellung: »gerade Dich Arbeiter wollen wir« – die dem Überfall auf die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 gewidmet ist – im Atrium des Rathauses eröffnet wurde, ahnte niemand, was wenige Tage später die Öffentlichkeit schockierte: Der Skandal um das sächsische Mörderkommando. Als Zeitzeugen für die Ausstellung konnte das »Bündnis gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit« den Stuttgarter Prof. Theo Bergman gewinnen. Den rund 200 Zuhörern, unter ihnen auffallend viele junge Menschen, Auszubildende und Schüler machte er anhand persönlicher Erfahrungen und Beispiele deutlich, was seines Erachtens den späteren Staatsterror möglich machte. Kritisch verwies er auf die »Zerstrittenheit« der Arbeiterbewegung und ihrer Parteien als eine der Ursachen.

Während sich Schulklassen und Passanten in der Ausstellung über den faschistischen Staatsterror informieren, »platzt die Bombe«: Die Öffentlichkeit erfährt, dass ein neofaschistisches Mordkommando zehn Menschen »hingerichtet« hat. Dieser ungeheuerliche Skandal veranlasste die Ausstellungs-Veranstalter nun »Nägel mit Köpfen« zu machen. Kurz entschlossen vereinbarten sie mit den Geschäftsleitungen und Betriebsräten des VW-Werkes und der Hütte die Ausstellung in den Ausbildungsabteilungen beider Betriebe zu präsentieren.

Nach uneingeschränkter Zustimmung und dem Hinweis, dass Management und abhängig Beschäftigte gleichermaßen in der Verantwortung stehen, übernahm die Jugend- und Ausbildungsvertretung – JAV – Planung und Organisation. Gemeinsam wurde eine Jugendbetriebsversammlung vereinbart und organisiert, an der alle drei Ausbildungs-Jahrgänge – d. h. rund 380 Jugendliche sowie der Werkleiter, der Personalleiter, der Betriebsratsvorsitzende, Mitglieder des Betriebsrates und des Vertrauensleutekörpers teilnahmen. Nach einer gemeinsam von der Coaching-Leitung und der JAV erarbeiteten Planung nahmen rund 310 Auszubildende in zwölf Gruppen an der Führung durch die Ausstellung, einer Filmvorführung und anschließender Diskussion teil.

Als Ergebnis der zum Teil spannenden Diskussionen wenden sich die Azubis des Volkswagenwerkes an die Jugendlichen und Auszubildenden in den örtlichen Fabriken, Werkstätten und Verwaltungen an die Schülerinnen und Schüler aller Schulen Salzgitters mit dem Appell:

»Lasst uns eine Allianz gegen Rechts bilden, Organisieren wir eine wirkungsvolle Gegenwehr!«

Anschließend wurden die Exponate im Ausbildungszentrum der Salzgitter Hütte aufgebaut. Wie bei VW nahmen sich auch hier Ausbildungsleiter, Betriebsrat, VK-L und JAV unserer Sache an. Wie bei VW beteiligten sich ebenfalls gruppenweise rund 180 Azubis an dem zweistündigen »Gesellschaftskunde-Unterricht«. Hauptdiskussionspunkte waren: »Kann sich Faschismus wiederholen«, »NPD-Verbot ja oder nein«. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit war meist erkennbar.

Ebenfalls spontan – unter dem Eindruck des Mordterrors – hat das Bündnis gemeinsam mit der örtlichen IG-Metall die Bürger der Stadt und ihre gesellschaftlichen Verbände zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen:

»NPD und Bomben – was tun gegen den Neonazismus?

Als Redner konnte der profilierte Rechtsextremismus-Experte Prof. Hajo Funke aus Berlin gewonnen werden. Nach kurzer Begrüßung der rund 200 Teilnehmer, einigen Hinweisen für die Diskussion und der »Aufforderung zum Schulterschluss« durch den Veranstalter, sprach der Vertreter der Stadt, der erste Bürgermeister Stefan Klein. Für ihn bildet »die Stadt gemeinsam mit dem Bündnis eine starke Front gegen Rechts, von der wir keinen Millimeter weichen«.

Wolfgang Räschke, erster Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter-Peine stimmte seinem Vorredner zu und vertrat die Meinung, dass die »Menschen quer durch die Gesellschaft jetzt Flagge zeigen müssen«.

Für den Hauptredner Hajo Funke ist »die Verharmlosung von rechter Gewalt endgültig vorbei«. Jetzt müsse gehandelt werden. Gründe für die Radikalisierung der rechten Szene sieht Funke – vor allem in Ostdeutschland – in den eklatanten Fehlern, die nach 1989 gemacht wurden. Orientierungslosigkeit führe seines Erachtens vor allem bei der Jugend zum Wutstau. Für den Rechtsexperten haben »Politik und Verfassungsschutz kläglich versagt«. Das NPD-Verbot »zum Zentrum der Debatte zu machen« hält er für »Ablenkungsmanöver«. Alles in allem eine gute Bündnis-Bilanz.