Sachlich analysiert

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR

Juli-Aug. 2007

Mathias Krauß: Völkermord statt Holocaust

Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR

Anderbeck-Verlag 2007, 14,80 €

ISBN 978-3-937751-39-9

War die DDR antisemitisch? War allein der kommunistische Widerstand Thema im Schulunterricht? Hat die DDR-Schule vierzig Jahre lang den Holocaust verschwie-gen? Viele Fragen und unterschiedliche Antworten, denn vieles ist mittlerweile ver-gessen und ein schräges DDR-Bild fast schon gewohnter Alltag. Erst kürzlich hat sich die Wochenzeitung „Freitag“ ausführlich damit beschäftigt, ob und wie die DDR antisemitisch war. Antisemitismus, Antizionismus und antiimperialistische Kritik an der Politik Israels wurden dabei voneinander unterschieden. Wie nötig das ist, zeigt die aktuelle Diskussion, in der immer wieder Kritik an der Politik Israels als antisemitisch abgetan wird.

Mathias Krauß hat sich nun mit den Wurzeln dieser Diskussion in der DDR beschäftigt – speziell mit der Auseinandersetzung um Faschismus und Holocaust im Schulunterricht der DDR. Tatsächlich hat sich die DDR-Schule mit dem Judentum so wenig beschäftigt wie mit dem Christentum und dem Islam. Auch wird man den Begriff Holocaust in den Schulbüchern, Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien der DDR nicht finden. Statt dessen ist vom Völkermord die Rede, den es tatsächlich nicht nur an jüdischen Menschen fast aller europäischen Völker gab, sondern auch an den Polen, Weißrussen, Ukrainern und den Völkern Jugoslawiens.

Wurde wegen dieses anders verwendeten Begriffes das Thema Judenverfolgung im DDR-Unterricht negiert? Keineswegs, denn allein über dreißig Texte setzten sich in den Schulbüchern von der sechsten bis zwölften Klasse mit den Themen Faschismus, Widerstand, Judenverfolgung, KZ und Völkermord auseinander. Zweifellos fielen dabei Behinderte, Sinti und Roma und auch Homosexuelle als Opfergruppe unter den Tisch. Aber die kritische Auseinandersetzung mit dieser Einseitigkeit der Opferbetrachtung hat in vielen Teilen Europas ihre eigene schwierige und langwierige Geschichte. Auch die Profilierung des kommunistischen Widerstandes in der DDR gegenüber vielfältigen anderen Widerstandsformen findet in der Überhebung des militärischen Widerstandes und dem zeitweiligen Verschweigen jeglichen anderen Widerstandes sein durch den kalten Krieg geprägtes westdeutsches Pendant.

Den westdeutschen Leser wird überraschen, dass allein 85 Texte jüdischer Autoren im Anhang genannt werden, die zum Lehrstoff des Literaturunterrichtes der DDR zählten und von denen er in seinem eigenen Schulunterricht vielleicht kaum etwas gehört hat. Ausführlich wird in diesen Texten auch auf das Thema Judenverfolgung eingegangen. Ein Fazit des Autors: Wenn Defizite vorhanden waren – den für die Deutschstunde ausgewählten Werken jedenfalls können sie nicht angerechnet werden. Bezeichnend ist auch die Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung im faschistischen Deutschland außerhalb des Unterrichts. Der Roman von Peter Edel „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ etwa und dessen vierteilige Verfilmung des DDR-Fernsehens aus dem Jahre 1973, zeigt detailliert den Rassismus, das perfide System der Judenverfolgung und deren Leben in Angst und Schrecken, die Kollaboration der deutschen Nachbarn aber auch die erlebte Solidarität auf. Der Hauptdarsteller Gunter Schoß war beim Thema Völkermord in seiner eigenen Familie auf eisernes Schweigen gestoßen. Kein Wunder, denn seiner Vater war aktiver SS-Offizier. Die Auseinandersetzung mit dem faschistischen Völkermord hatte ihm erst die Schule ermöglicht und damit die Grundlage gelegt für sein eigenes antifaschistisches Wirken in Funk und Fernsehen.

Das Buch von Mathias Krauß wendet sich einerseits an die ostdeutschen Leser, erinnert sie an jene interessanten Tex zur Auseinandersetzung mit Krieg, Völkermord und Faschismus, denen kaum ein Schüler unter dem Diktat des Einheitslehrplanes entgehen konnte. Es zeigt dem Leser aber auch mögliche Interpretationen des Lesestoffes auf, die in der DDR unter den Tisch fielen oder nur selten aufgegriffen wurden. Dabei wird der einstige Schulstoff um Informationen ergänzt, die im Unterricht keine Rolle spielten, obwohl sie zur Einordnung und das Verständnis des jeweiligen Werkes wichtig gewesen wären. Das Buch wendet sich auch an den westdeutschen Leser, dessen Bild vom Schulunterricht der DDR aus nachvollziehbaren Gründen sicher deutlich anders ausfällt und der hier mit einer literarischen Welt konfrontiert wird, von deren Existenz er möglicherweise bislang nichts geahnt hat.