Verweilen, Gedenken, Lernen

geschrieben von Hannelore Rabe

5. September 2013

Erinnerung an Verfolgte des Naziregimes auf dem Neuen Friedhof in
Rostock

März-April 2012

Die Studentengruppe des Sozialen Bildungswerkes Rostock kommt zu der Schlussfolgerung: Die Spurensuche in Literatur und in den Archiven hat viele Fragen unbeantwortet gelassen, welche ohne die noch erhaltenen Grabplatten und -steine nicht einmal gestellt werden könnten. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der regionalen Geschichte des Nationalsozialismus und ein aktives Erinnern an die Opfer muss sich auch daran messen lassen, wie eine Stadt mit ihren historischen Orten umgeht und ob es ihr gelingt, solche Orte wieder in das Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger zu rufen.

Auf dem Terrain des Neuen Friedhofes in Rostock befinden sich Gemeinschaftsanlagen und Einzelgräber, die an die Verfolgung und Ermordung von Menschen aus der Sowjetunion, aus Polen, der Tschechischen und Slowakischen Republik, aus Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich, Italien, Ungarn und an Opfer rassischer Verfolgung erinnern. Sie wurden Opfer des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges – sie gehören zu den Opfern des Faschismus.

Den Rostockern ist darüber heute wenig bekannt. Verwandte und Freunde der Opfer des Faschismus können die Anlage nicht mehr pflegen, so wurden Einzelgräber aufgegeben und nichts erinnert mehr an die Menschen, die sich gegen den aufkeimenden und realen Nationalsozialismus, gegen Krieg und Faschismus auflehnten. Deshalb entstand unter Mitgliedern der VVN-BdA Rostock die Idee, zur Ehrung all dieser Opfer auf dem Neuen Friedhof eine Stele oder eine Pieta aufzustellen. Doch im Zusammenhang damit wurde uns bewusst, dass spätere Generationen auch etwas über das Leben derer, der hier gedacht wird, wissen müssen. Aus dieser Fragestellung entwickelten wir das Projekt, gemeinsam mit einer Studentengruppe des Sozialen Bildungswerkes (SOBI) Rostock, Biografien zu recherchieren, eine Dokumentation anzulegen und in einer Broschüre über die Gedenkorte zu informieren.

Die Idee für ein entsprechendes Kunstwerk gaben wir damit jedoch nicht auf. Auf dem Neuen Friedhof in Rostock befinden sich drei Gemeinschaftsanlagen: Auf einem großen Gräberfeld, wurden von 1941 bis 1945 vorwiegend KZ- Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beigesetzt. Die Nazi-Oberen in Rostock deklarierten es als »Sonderfriedhof für Fremdrassische«. Die hier Beigesetzten kamen aus dem KZ- Außenlager von Ravensbrück in Barth, viele wurden aber auch direkt von den Heinkel-Werken in Marienehe, den Dornierwerken Warnemünde, den Bachmann-Werken Ribnitz und aus den Lagern »Sportpalast« am Eingang zum Barns-dorfer Wald, aus den Lagern in Brinkmannsdorf, Dierkow und Kröpeliner Tor angeliefert.

Nach bisherigem Kenntnisstand wurden hier auch zwangsweise Bürger beigesetzt, die der jüdischen Religion angehörten oder von den Nazis zu »Juden gemacht« wurden. Einer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager hatten diese Menschen nur dadurch entgehen können, dass sie in so genannten »Mischehen« lebten.

In der Dokumentation und in der Broschüre nehmen wir außerdem Bezug auf die Biographien jener Opfer, die in Einzelgräbern beigesetzt wurden, um sie ebenfalls dem Vergessen zu entreißen.

Fehlende zeitgemäße Instandsetzung und fehlende Informationen behinderten bisher eine aktive Auseinandersetzung mit den Schicksalen der an diesen Orten bestatteten Menschen. Das Forschungsprojekt » Gedenkstätten für Verfolgte des Naziregimes auf dem neuen Friedhof in Rostock« hatte zur Folge, dass die Gräberfelder, wieder in den Blickpunk der Friedhofsverwaltung gerückt, nun auch wieder gepflegt werden und dass die Informationsbroschüre sowie ein Flyer anlässlich des 100-Jährigen Bestehens des Neuen Friedhofes Rostock in diesem Jahr der Öffentlichkeit übergeben werden können. Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus dem Projekt wird ein weiteres Denkmal für den antifaschistischen Widerstand in Rostock entstehen. So kann der beigesetzten Opfer auch in Zukunft in angemessener und würdiger Weise gedacht werden.