Ein »Stalin-Hitler-Pakt«?

geschrieben von Regina Girod

18. März 2014

Internationale Historiker analysierten die Situation am Vorabend des 2. Weltkriegs

 

Um es gleich vorweg zu sagen: Daran, dass es den Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion, einschließlich eines geheimen Zusatzprotokolls, in dem Gebietsansprüche beider Länder an Polen festgeschrieben wurden, tatsächlich gab, zweifelte auf dem Kongress niemand. Allerdings merkte ein Referent beiläufig an, dass das Wort »Pakt« eigentlich Militärbündnisse beschreibe und daher für einen Nichtangriffsvertrag nicht zutreffend sei.

Genau das spricht für die Wahl des provokativen Konferenzthemas: Spätestens seit das EU-Parlament beschlossen hat, den 23. August als Leitdatum der europäischen Erinnerungskultur zu etablieren und an diesem Tag der »Opfer aller Diktaturen« zu gedenken, ist der »Hitler-Stalin-Pakt« zu einem Hauptargument für die These »rot gleich braun« geworden. Höchste Zeit also, die realen geschichtlichen Vorgänge um dieses Datum herum aus der Sicht unterschiedlicher europäischer Länder zu analysieren und zu debattieren.

Diesen Anspruch löste die Konferenz überzeugend ein, selten habe ich eine so spannende, vielschichtige und inspirierende Tagung erlebt. Obwohl sich nur ein einziger Beitrag (der von Günter Morsch von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) explizit auf den 23. August als Gedenktag bezog, kann man mit Recht feststellen, dass sie die Vereinfachungen, Verzerrungen und Verfälschungen, die sich notwendig ergeben, wenn Geschichte über den Leisten des Totalitarismus gespannt wird, ad absurdum führte. Leider wird das wohl auch ein Grund dafür sein, ihre Ergebnisse möglichst wenig zu beachten. Mit einer erfreulichen Ausnahme: Der Deutschlandfunk schnitt Teile der Konferenz mit und berichtete einige Tage später.

Die Thesen, Fragen und Haltungen der Referenten und Teilnehmerinnen der Konferenz unterschieden sich stark – gerade das machte ihren Reiz aus. Dass es auch wirkliche Unterschiede in der Sicht von Generationen gibt, zeigte z. B. die Frage eines jungen Teilnehmers an Kurt Pätzold, warum er an die Haltung der Sowjetunion einen anderen moralischen Maßstab anlege, als an die anderen Mächte jener Zeit. Diese Frage, im Sinne der Verteidigung der Sowjetunion gestellt, machte schlagartig deutlich, dass junge Menschen heute keine Vorstellung mehr von den ungeheuren Hoffnungen haben können, die sich einmal auf die Sowjetunion richteten. Um so wichtiger die kritischen Positionen, die gerade auch die beiden aus der DDR stammenden Referenten, Kurt Pätzold und Werner Röhr, zur Haltung Stalins und zu den Folgen des Nichtangriffsvertrages bezogen.

Ulrich Schneider, der über die Reaktionen der Komintern und von Antifaschisten im Exil und in den Konzentrationslagern auf den Nichtangriffsvertrag referierte, brachte als Generalsekretär der FIR und Bundessprecher der VVN-BdA einen Teil jener Erfahrungen in die Debatte ein, die wir als politischer Verband weitertragen. Dieses Anliegen war auf der Tagung gut aufgehoben. Die aus mehreren Bundesländern zu der Konferenz angereisten Mitglieder der VVN-BdA werden meine Einschätzung sicher teilen, dass die Beteiligung als Mitveranstalterin dieser Tagung unserer Organisation gut zu Gesicht stand.