Aufklärung mit Anleihen

geschrieben von Janka Kluge

4. Januar 2016

Was wäre, wenn die CIA den NSU gesteuert hat?

 

Über das Terrortrio vom NSU sind schon einige Krimis erschienen. Zu diesen ist jetzt »Die schützende Hand« von Wolfgang Schorlau dazugekommen. Wolfgang Schorlau hat sich einen Namen mit politischen Krimis gemacht. Schon länger war bekannt, dass er sich in seinem neuen Buch mit dem Komplex NSU beschäftigen würde. Privatdetektiv Dengler ist seine Hauptperson. Er war früher beim BKA, ist dann aber ausgestiegen und hat sich selbstständig gemacht. Kontakte zu den früheren Kollegen bestehen kaum noch. Lediglich seine ehemalige Geliebte ruft er manchmal an, wenn er Informationen braucht. Peinlich ist, dass sie ihm dann regelmäßig Anzüglichkeiten durchs Telefon zuflüstert.

Wolfgang Schorlau »Die schützende Hand« Kiepenheuer und Witsch 2015, 14,99

Wolfgang Schorlau »Die schützende Hand« Kiepenheuer und Witsch 2015, 14,99

Das Buch von Wolfgang Schorlau ist dem Genre nach ein Krimi, doch auch noch mehr. Er lässt Dengler die Recherchen nachvollziehen, die er selbst unternommen hat. Im Nachwort, das man am besten zuerst lesen sollte, betont er: »Diese Buch ist eine literarische Ermittlung in einem realen Kriminalfall. Und ich fürchte, es ist die Ermittlung eines Staatsverbrechens. Ich kenne die vollständige Wahrheit über die rechtsterroristischen Verbrechen des NSU und die Verwicklungen der Staatsschutzbehörden darin ebenso wenig wie andere.«

Es wichtig, dass man diese Erklärung beim Lesen vor den Augen hat. Dengler geht es in seinen Erkundungen nicht um die Verbrechen des NSU-Kerntrios, vielmehr steht der Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Mittelpunkt seines Interesses. Weil dies kein klassischer Krimi ist, kann ich seine Ergebnisse hier öffentlich machen. Seinen Freunden gegenüber fasst Dengler zusammen: »Wir haben Belege dafür, dass der Tod von Mundlos und Böhnhardt so etwas wie eine Exekution gewesen sein muss, aber wir haben auch ganz neue Hinweise, die nahelegen, dass sie gar nicht die Einbrecher in die Bank gewesen sein können.«

Damit widerspricht Wolfgang Schorlau komplett der These der Bundesanwaltschaft, dass Uwe Mundlos zuerst seinen Nazigefährten Böhnhardt erschossen, in dem Wohnmobil Feuer gelegt und sich dann selbst erschossen haben soll. Die ersten Zweifel entstehen bei der Darstellung im Polizeibericht über den zeitlichen Ablauf. Keine dreißig Sekunden soll der ganze Vorgang gedauert haben. Auch wenn die beiden bereits im Vorfeld einen erweiterten Suizid abgesprochen hatten und sich nicht, wie Schorlau unterstellt, erst dazu entscheiden mussten, ist diese Zeitspanne unrealistisch. Hinzu kommt, dass bei den Toten im Wohnmobil eine zweite Patrone gefunden wurde. Bei der Pumpgun, mit der die Tat begangen wurde, wird die Patrone aber erst beim Nachladen ausgeworfen. Nach einem suizidalen Kopfschuss kann jedoch niemand mehr das Gewehr nachladen. Außerdem wurde laut der offiziellen Berichte keine Hirnmasse im Wohnmobil gefunden. Beide müssen aber zusammen durch die Kopfschüsse 2 Kilogramm Hirn verloren haben.

Es stellt sich also die Frage, von wem wurden sie exekutiert? Und vor allen Dingen warum? Auf das »warum« liefert Schorlau keine Antwort. Dafür geht er der Frage nach, wer hinter dem Doppelmord an Mundlos und Böhnhardt steckt.

Da ist zuerst einmal die literarische Figur des Harry Nopper. In dem Buch ist er stellvertretender Präsident des Verfassungsschutzes Thüringen. Dengler kennt ihn noch aus seiner Zeit beim BKA. Im wirklichen Leben stand Helmut Roewer Pate für diese Figur. Er war ab 1994 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Unter seiner Amtszeit genossen Nazis Schutz, seine Hauptfeinde waren Linke und Antifaschisten. Im Jahr 2000 wurde Roewer wegen verschiedener Vorwürfe vom Dienst suspendiert. Seine Gesinnung zeigt er, indem er immer wieder in rechten Verlagen und Zeitungen wie die Junge Freiheit publiziert. Obwohl er nachweislich ab dem Jahr 2000 nicht mehr im Amt war, konstruiert Schorlau seine Weiterbeschäftigung. Er soll am Tattag am Wohnmobil gewesen sein und Dengler (Schorlau) sieht ihn am Rande einer rassistischen Demonstration in Heidenau. Genau da liegt der Punkt, warum ich das Buch nicht uneingeschränkt empfehlen kann. Schorlau nimmt immer wieder Anleihen bei rechten Gruppen. Mehrmals schreibt er, dass die Bundesrepublik nicht selbstständig und eigentlich nur Befehlsempfänger der USA sei. »Außerdem galt in Westdeutschland immer noch weitgehend Besatzungsrecht. Bei einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten würde mit einem Friedensvertrag oder einem ähnlichen völkerrechtlichen Vertrag der neue deutsche Staat seine volle Souveränität erlangen.« Das ist die Argumentation der rechten Reichsbürger.

Für Schorlau ist der Staat, genauer die amerikanischen Geheimdienste, für die Verbrechen der Neonazis und deren Aktivitäten verantwortlich. Wie weit er das ausbaut, wird bei dem Mord an Michele Kiesewetter deutlich. »Über einen Rechtsradikalen namens Thomas Richter bekam die CIA Kontakt zu drei flüchtigen Neonazis aus Thüringen. Es gelang, sie am Tag einer geplanten Operation im April 2007 in die Heilbronner Gegend zu locken. Sie hatten ein Wohnmobil gemietet und die CIA sorgte dafür, dass dessen Nummer bei einer Kontrolle notiert wurde.«

Trotz solcher Anleihen bei Verschwörungstheorien ist das Buch lesenswert. Man muss nur wissen: wo schreibt Schorlau über seine Recherchen und wo blüht seine Phantasie?