Erniedrigt und verbraucht

geschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Sonderausstellung zu Häftlingsbordellen in der Gedenkstätte
Ravensbrück

März-April 2007

»Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern«

Eine Werkstattausstellung der Gedenkstätte Ravensbrück in Kooperation mit »Die Aussteller«, Wien und dem Institut für Kunst im Kontext, UdK Berlin.

15. Januar bis 30. September 2007 im Garagentrakt der Gedenkstätte Ravensbrück, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr.

Das erste Mal habe ich Anfang der 90er-Jahre davon gehört, in der Diskussion um das Niethammer-Buch über die roten Kapos. Der hatte über das Häftlingsbordell in Buchenwald geschrieben, in dem gefangene Frauen zur Sex-Arbeit gezwungen wurden. Die Reaktionen darauf waren heftig, wie immer, wenn an ein Tabu gerührt wird. Denn das passte nicht in das Bild vom Häftlingsalltag in Konzentrationslagern. Dass SS-Leute gefangene Frauen auch sexuell folterten und missbrauchten wusste man aus Filmen und Büchern. Aber Häftlinge, die doch selbst Opfer waren? Irgendwie unvorstellbar. 60 Jahre brauchte es, bis im Mai 2005 eine Gruppe von Wiener Studenten unter Leitung ihrer Professorin Carola Sachs eine Ausstellung präsentierte, die dieses Unvorstellbare dokumentierte und an die Stelle von Verschweigen und Verdrängung nüchterne Aufklärung setzte. Doch was heißt nüchtern? Trotz äußerst dürftiger Quellen und Materiallage, von einer richtigen Ausstellung kann eigentlich gar keine Rede sein, verlässt man die Präsentation schockiert und betroffen über die ungeheure Entwürdigung, die sie bezeugt.

Denn, wie immer im Wirkungsbereich deutscher Amtsstuben, war alles akribisch geregelt. Basierend auf einem Erlass Heinrich Himmlers vom Mai 1943, wurden zunächst in Mauthausen und Gusen, später in allen großen Konzentrationslagern, sogar in Auschwitz, Häftlingsbordelle eingerichtet. Die Frauen dafür kamen aus Ravensbrück, meist trugen sie den schwarzen Winkel der Kriminellen. Für ein halbes Jahr Arbeit im Bordell hatte man ihnen die Entlassung versprochen. Eigentlich waren die Bordellbesuche Bestandteil eines Prämiensystems für besondere Arbeitsleistungen, doch die Mehrzahl der ausgemergelten Häftlinge war zu hohen Arbeitsleistungen körperlich gar nicht mehr in der Lage und auch nicht zur Inanspruchnahme solcher »Vergünstigungen«. Also waren es meist so genannte »Funktionshäftlinge«, und unter diesen wiederum vor allem Kriminelle, die die Möglichkeit nutzten. Juden und Russen waren von den Besuchen ausgeschlossen.

Und das ging dann so: Der Häftling stellte auf einem extra dafür entwickelten Formblatt einen Antrag auf Bordellbesuch. Dieser wurde vom Lagerkommandanten entschieden und die Erlaubnis auf dem Appell öffentlich erteilt. Der Besuch kostete zwei Reichsmark, von denen angeblich eine Mark die Frau erhielt. (In Wirklichkeit bekamen die Frauen kein Geld und wurden auch nicht, wie versprochen, vorzeitig entlassen). Vor dem Besuch musste der Mann sein Glied vorzeigen, es wurde desinfiziert, dann hatte er 15 bis 20 Minuten Zeit für den Geschlechtsverkehr, der nur in liegender Stellung zu vollziehen war. Durch ein Guckloch in der Tür war die Kontrolle darüber gewährleistet. Für die Frauen gab es keine Verhütungsmöglichkeiten, abgesehen von Waschungen mit Kresollösungen. So kam es immer wieder zu Schwangerschaften, viele infizierten sich mit Geschlechtskrankheiten. In diesem Fall wurden sie nach Ravensbrück zurückgebracht, im dortigen Revier nahm man Schwangerschaftsabbrüche vor und benutzte die Erkrankten als Objekte für Medikamentenversuche.

Irma Trsak, eine ehemalige Ravensbrücker Häftlingsfrau, erinnert sich: »Zurückgekommen sind sie als Wracks. Die mussten am Tag weiß ich wie viele Männer empfangen, sie waren ruiniert, krank, einige sind nachher gestorben.« Von den Frauen, die überlebten, stellten die meisten aus Scham nach dem Krieg keinen Antrag auf Entschädigung. Denn schon in der Häftlingshierarchie standen die Rückkehrerinnen auf der untersten Stufe, schließlich hatten sie sich freiwillig gemeldet. So gehörten sie für Jahrzehnte zu den vergessenen Opfern des KZ-Systems.

Um so wichtiger, dass die Ausstellung »Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern« nach ihrer Präsentation in der als Bordell genutzten Baracke 1 von Mauthausen, nun noch bis zum 30. September in der Gedenkstätte Ravensbrück zu sehen ist. Ergänzt durch Filmausschnitte, in denen sich Ravensbrückerinnen an das Geschehen erinnern und einige Bücher und Manuskripte zur Problematik sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Man muss das gesehen haben. Die Wiener Studierenden Gruppe »Die Aussteller« hat hier mit sichtbar wenig Mitteln eine aufklärerische Großtat vollbracht, die ihresgleichen sucht.