Minister contra Karlsruhe

geschrieben von P.C.Walther

5. September 2013

Wann endlich wird der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts beachtet?

März-April 2010

Dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, das von Neonazis gern als Freibrief für neofaschistische Auftritte und Propaganda genutzt wird, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem (in der »antifa« bereits zitierten) Beschluss vom 4. November 2009 (Aktenzeichen: 1 BvR 2150/08) Grenzen gesetzt.

Der inzwischen verstorbene Neonazi-Anwalt Rieger hatte Verfassungsbeschwerde gegen die Verbote der Rudolf-Heß-Gedenkmärsche erhoben und sich dabei auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit berufen.

Das Karlsruher Gericht selbst hat in der Vergangenheit unter Hinweis auf die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit bereits häufig Verbote von Neonazi-Auftritten aufgehoben und damit Naziaktivitäten zugelassen. Auch in seinem jetzigen Beschluss vertritt das Gericht weiterhin die Position, dass »selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit« herausfalle.

Um so bemerkenswerter ist die jetzt für rechtens und geboten erklärte Einschränkung dieser Grundrechte für Neonazis bei der »Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft«. Diese seien »grundsätzlich als strafwürdig« anzusehen.

»Angesichts des Unrechts und Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft verursacht hat«, seien »Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen«, zulässig.

Das Gericht unterstrich ausdrücklich, dass diese Entscheidung »Klarheit über die Rechtslage« schaffen soll und deshalb »von allgemeiner verfassungsrechtlicher Bedeutung« sei.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass das Verfassungsgericht in diesem Beschluss das Grundgesetz als »Gegenentwurf« zum Nazifaschismus bezeichnet und betont, dass die Erfahrungen aus der Naziherrschaft für die Nachkriegsordnung prägend gewesen und »bis heute nachhaltig« seien.

Wer nun weiterhin uneingeschränkt Meinungsfreiheit für Neonazis propagiert und gleichzeitig Nazigegner als Demokratiegegner bezeichnet, weil sie Neonazis das Recht auf Inanspruchnahme dieser Grundrechte für Nazipropaganda absprechen, stellt sich eindeutig gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Pikanterweise trifft das auch auf den für den Schutz der Verfassung zuständigen Innenminister von Nordhein-Westfalen zu, aus dessen Haus genau diese Position verbreitet wird.