Offener Brief

5. September 2013

Gegen den Gedenktag für die »Opfer aller totalitärer und
autoritärer Regime«

März-April 2012

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,

auf einer Sondersitzung des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten am 13. Januar 2012 haben die Mitglieder aus Opfer- und Interessenverbänden sowie den Gedenkstätten für die NS-Opfer in beiden Bundesländern gemeinsam mit den Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie des American Jewish Committee über den auf Beschlüssen des Europaparlaments beruhenden Vorschlag debattiert, in allen Ländern einen einheitlichen Tag des Gedenkens für die »Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime« einzuführen. Dieser soll jährlich am 23. August aus Anlass der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes 1939 begangen werden. Dieser Vorschlag wird u. a. von mehreren Regierungen, Institutionen und Gedenkstätten für Opfer kommunistischer Verfolgung in Europa unterstützt, die zu diesem Zweck eine »Platform of European Memory and Conscience« gegründet haben.

Wir, die Mitglieder des Arbeitskreises, lehnen diesen Vorschlag in enger Abstimmung mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem American Jewish Committee einhellig und entschieden ab. Wir bitten die beiden Landesregierungen von Berlin und Brandenburg, diesen Initiativen zur Einführung dieses Gedenkstages sowohl in den beiden Bundesländern als auch auf nationaler und europäischer Ebene nicht zu folgen, sondern sie abzulehnen und ihnen zu widersprechen.

Wir verweisen dabei vor allem auf das diesem Schreiben beigefügte »Vermächtnis« der Präsidenten der Vereinigungen der Überlebenden von Holocaust und Konzentrationslagern, das diese am 27. Januar 2009 dem Präsidenten des Deutschen Bundestages sowie dem Bundespräsidenten übergeben haben. Außerdem verweisen wir auf einen in der gleichen Angelegenheit an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie an die Mitglieder EU-Kommission gerichteten Brief der Präsidenten, den die Überlebenden am 11. November 2011 in Brüssel persönlich der Stellvertretenden Kommissionspräsidentin, Frau Viviane Reding, übergeben haben. Auch diesen Brief fügen wir Ihnen in der Anlage bei.

Wir teilen die von den Holocaust- und KZ-Überlebenden in bewegenden Worten formulierte Sorge und schließen uns ihrer Ablehnung des geplanten Gedenktages an:

Die von den Initiatoren des Gedenktages angestrebte Gleichheit im Gedenken an die »Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime« führt zu unhistorischen Gleichsetzungen und Relativierungen.

Die Einführung dieses Gedenktages wird daher nicht zu Versöhnung und einvernehmlichem Dialog zwischen Opfern, ihren Angehörigen, verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Staaten beitragen, sondern er vertieft Gegensätze, reißt alte Wunden wieder auf und führt zu neuen Auseinandersetzungen und Konfrontationen.

Selbstverständlich erkennen auch wir nicht nur das Leid der Millionen Opfer kommunistischen Terrors an, sondern unterstützen das Bestreben, einen international einheitlichen Gedenktag für sie einzuführen. Ob sich das Datum des 23. August dazu eignet, das mögen weniger Regierungen und Parlamente als vor allem diejenigen beurteilen, die nicht nur in der Zeit der Geltung des Hitler-Stalin-Paktes, also zwischen 1939 und 1941, sondern spätestens seit der Oktoberrevolution 1917 bis zur friedlichen Revolution in Europa 1989/90 unter den kommunistischen Diktaturen gelitten haben.

Wir sind betroffen, dass die Stimmen der Überlebenden des NS-Terrors offenbar kaum noch gehört werden. Wir sind bestürzt und beschämt über die Bitterkeit, die viele Opfer nationalsozialistischer Verfolgung deshalb ausgerechnet in einer Zeit empfinden, in der wir von einem allmählichen Ende der Zeitzeugenschaft sprechen müssen. Demnächst wird in Deutschland und in vielen anderen Staaten erneut am Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des KZ Auschwitz der Opfer der Nationalsozialisten gedacht. Die Gedenkveranstaltungen am 27. Januar sind eine gute Gelegenheit, um dem »Vermächtnis« der letzten Überlebenden von Holocaust und NS-Terror Gehör zu verschaffen und uns ihrem Appell anzuschließen, wo es u. a. heißt:

»Anstatt unsere Ideale für Demokratie, Frieden Toleranz, Selbstbestimmung und Menschenrechte durchzusetzen, wird Geschichte nicht selten benutzt, um zwischen Menschen, Gruppen und Völkern Zwietracht zu säen. Wir wenden uns dagegen, dass Schuld gegeneinander aufgerechnet, Erfahrungen von Leid hierarchisiert, Opfer miteinander in Konkurrenz gebracht und historische Phasen miteinander vermischt werden.«

Diesen Wünschen, Warnungen und Forderungen der Überlebenden stimmen wir, die Mitglieder des Arbeitskreises der Berlin-Brandenburgischen Gedenkstätten, vorbehaltlos zu. Wir wünschen uns, dass auch Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, in diesem Sinne das »Vermächtnis« der Präsidenten der Überlebenden von Holocaust und KZ-Terror weitertragen.

Unterzeichnet hat den Brief Prof. Dr. Günter Morsch im Namen des Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in Berlin-Brandenburg.

Diesem gehören folgende Einrichtungen, sowie Opfer- und Interessenverbände an:

– Aktives Museum – Faschismus und Widerstand in Berlin e.V.

– Anne-Frank-Zentrum Berlin-Schöneweide

– Bonhoeffer-Haus

– Bund der Verfolgten des Naziregimes e. V.

– Canisius-Kollegs (CK) und Jesuiten-Kommunität

– Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

– Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

– Gedenkstätte Brandenburg Havel

– Gedenkstätte Deutscher Widerstand

– Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche Juni 1933

– Haus der Wannsee-Konferenz

– Heimatmuseum Köpenick

– Jüdische Gemeinde zu Berlin

– Jüdisches Museum Berlin

– Karmel Regina Martyrum

– Landesverband Deutscher Sinti und – Roma Berlin Brandenburg e.V.

– Landeszentrale für politsche Bildung

– Lesben- und Schwulen Verband Berlin-Brandenburg

– LISUM Berlin-Brandenburg

– Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

– Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

– Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

– Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

– Stiftung Topographie des Terrors

– Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

– Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

– Zentrum für Zeithistorische Forschung

Offener Brief

5. September 2013

an Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung

Sept.-Okt. 2009

Sehr geehrter Herr Bundesverteidigungsminister,

vor einigen Tagen fiel mir ein Magazin in die Hände, das mir bis dato nicht bekannt war. Sein Titel: ein schlichtes, harmloses Y. Ich gehe sicher nicht fehl in der Annahme, dass Sie zu seinen Lesern gehören, handelt es sich doch um ein monatlich erscheinendes Magazin der Bundeswehr.

Titelbild des Magazins »Y«, Sept. 2009, …

… und »Mullah Omar«, Seite 11.

»Stürmer«-Titelbild, Februar 1943

Beim Durchblättern schon der ersten Seiten bekam ich eine Gänsehaut. Bilder stiegen aus meinem Gedächtnis auf, die ich seit mehr als 70 Jahren in mir trage. Es waren Bilder aus dem »Stürmer«. Sie, Herr Minister, wissen sicherlich, wovon ich schreibe. Nämlich von jenem unsäglich primitiven, von hunderttausenden Parteigenossen der NSDAP regelmäßig konsumierten Produkt, das kurz nach der Machtübernahme der Nazis 1933 nur eine Aufgabe hatte: den Hass auf alles Jüdische im 3. Reich zum Lodern zu bringen. In jeder Ausgabe erschienen Karikaturen von Menschen mit Hakennasen, wulstigen, vor Gier fast triefenden Lippen, verzerrten Gesichtszügen und bösen Blicken. In meinem Geburtsort Merchingen/Baden wurde dieses Blatt in einem Schaukasten am Schulgebäude allen Bewohnern kostenlos zur regelmäßigen antisemitischen Aufrüstung dargeboten.

Geübt im Umgang mit peinlichen, von Ihrem Ministerium nicht erwünschten Vorkommnissen, werden Sie jetzt sicher fragen, was meine Erinnerungen mit dem Bundeswehrmagazin Y zu tun haben. Leider sehr viel. Unter der Überschrift »Köpfe des Terrors« werden in seiner September-Ausgabe am Computer produzierte Bilder von Führern der Al Qaida, Taliban und Dschihad präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten Wirkung ihre Vorläufer im »Stürmer« haben. Als Beweis lege ich Ihnen das Faksimile eines »Stürmer«- Titelbildes von 1943 bei.

Aus einer jüdischen Familie stammend habe ich den Nazi-Terror nur überlebt, weil ich zu den Kindern gehörte, die nach den Novemberpogromen 1938 in England Asyl fanden. Fast alle meine Angehörigen wurden in den Gaskammern von Auschwitz umgebracht. Aufgrund dieser Erfahrung ist eine Neuauflage von Stürmer-Praktiken für die Etablierung von Feindbildern für mich unerträglich. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich verurteile wie Sie die unmenschlichen Aktionen von Bin Laden und seiner Clique. Sich dagegen mit im Völkerrecht verankerten Mitteln zur Wehr zu setzen, ist legitim. Doch ich muss dringend davor warnen, rassistische Stereotype von »Untermenschen« zur Motivierung der Truppen in Afghanistan zu benutzen. Gerade in Deutschland sollte so etwas nie mehr möglich sein.

Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mein ganzes Leben lang als Journalist gearbeitet und weiß daher um die Verantwortung des Chefredakteurs für die Etablierung und Durchsetzung ethischer Normen in seinem Blatt. Bitte sorgen Sie dafür, dass der für die September-Ausgabe verantwortliche Herr Jan Marberg abgelöst wird und das Bundeswehrmagazin Y sich künftig in Bild und Text den Grundsätzen von Demokratie und Menschenwürde verpflichtet zeigt.

Mit freundlichen Grüßen,

Alfred Fleischhacker