Was Gefangene erzählen

geschrieben von Markus Bernhardt

5. September 2013

Gespräche mit Jugendlichen in Haft – ein authentisches Dokument

Sept.-Okt. 2007

Klaus Jünschke/Jörg Hauenstein/Christiane Ensslin:

Pop Shop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2007, 238 Seiten, 16 Euro

Es waren maßgeblich die Gewalttaten, die Gefangene in bundesdeutschen Jugendgefängnissen – wie beispielsweise 2006 im nordrhein-westfälischen Siegburg – verübten, welche die Öffentlichkeit strohfeuerartig aufhorchen ließen, wenn es um die Situation von Jugendlichen in den Knästen ging. Selbst ernannte Experten und politische Entscheidungsträger diskutierten über die Hintergründe der in den Gefängnissen stetig ansteigenden Gewalt. Jedoch offenbar einzig, um das Thema nach aufgeregter Debatte wieder schnellstmöglich ad acta zu legen. Anstatt zu resümieren, ob der ursprüngliche Gedanke der Resozialisierung in den Gefängnisbetrieben dieser Tage überhaupt noch eine Rolle spielt, verabschiedete die Bundesregierung in diesem Jahr flugs einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass junge Menschen, die nach dem Jugendstrafrecht zu einer Strafe von mindestens sieben Jahren verurteilt worden sind, nach der Strafverbüßung in Sicherungsverwahrung genommen werden können, wenn zwei Gutachter ihre andauernde Gefährlichkeit feststellen. »Zu fragen ist, wieso eine Regierung, die verbal so häufig zum Kampf gegen den Rechtsextremismus aufruft, in der Auseinandersetzung mit der Jugenddelinquenz auf eine Sanktion setzt, die von den Nationalsozialisten 1933 für Erwachsene eingeführt wurde, ohne diesen historischen Kontext zu diskutieren«, kommentierte der in Köln lebende Sozialwissenschaftler Klaus Jünschke diese Art der Regierungspolitik kürzlich in einem Interview. Jünschke, der sich unter anderem im »Kölner Appell gegen Rassismus«engagiert und ansonsten als Buchautor und Journalist tätig ist, wies angesichts der unqualifizierten Debatte zudem darauf hin, wie wenig Hilfe die Jugendlichen in den Jugendgefängnissen tatsächlich fänden und wie sehr einzelne durch die Haft noch zusätzlich brutalisiert würden. Wovon er redet, weiß der engagierte Sozialwissenschaftler ganz genau. Gemeinsam mit Christiane Ensslin und dem Fotografen Jörg Hauenstein veröffentlichte er in diesem Jahr das Buch »Pop Shop. Gespräche mit Jugendlichen in Haft«, in dem Gespräche dokumentiert sind, die Jünschke über ein Jahr lang mit den durchweg männlichen Insassen der Jugendabteilung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln geführt hat.

»Pop Shop«, der Titel des Buches, steht für Freizeitsperre, und war in den 1970er-Jahren der Name einer populären Rundfunksendung. Da die Sendung anfing, wenn die Gefangenen in ihre Zellen eingesperrt wurden, gingen die Beamten nach und nach dazu über, statt Einschluss »Pop Shop« zu rufen.

Auf über 200 Seiten werden in dem Buch Gespräche mit den jugendlichen Gefangenen dokumentiert, in denen diese unverblümt zu Wort kommen. Sie äußern sich sowohl zu ihren Taten und Opfern, ihrem früheren sozialen Umfeld, familiären Problemen als auch zum Gefängnisalltag im Allgemeinen. Auch warten sie zeitweise mit homophoben und frauenfeindlichen Äußerungen auf, die manchen Leser vielleicht zum Kopfschütteln verleiten mögen. Jedoch ist es eben diese unkommentierte Dokumentation der Ansichten der Gefangenen, die dieses Buch so erfrischend und authentisch wirken lässt. Anstatt mit erhobenem Zeigefinger die Keule der »political correctness« zu schwingen, lassen die Herausgeber die Jugendlichen ohne falsche Rücksichtsnahmen selbst zu Wort kommen.

Christiane Ensslin jedenfalls war von den Gesprächen mit den Jugendlichen beeindruckt. »Die reden über ihre Gefühle und Verletzungen, über ihr Versagen, ihr Weinen, ihr Alleinsein, und einer spricht sogar über seine Trauer um sein Leben«, konstatiert sie.

Es sind die Bilder des Kölner Fotografen Jörg Hauenstein, die es dem Leser zudem ermöglichen, sich ein Bild vom tristen Alltag der Gefangenen in der JVA Köln zu machen. Auf eigenen Wunsch ließen sich die Jugendlichen für das Buchprojekt sogar portraitieren, so dass die Bilder den Widerspruch zwischen der nüchternen Gefängnisarchitektur und der Persönlichkeit und des Charakters eines jeden Gefangenen durch den Ausdruck in seinem Foto zeigen.

Jeder Politiker, der bezüglich der so genannten Jugendkriminalität nach Gesetzesverschärfungen schreit, sollte sich dieses Buch zu Gemüte führen. Allein schon, um einen authentischen Eindruck vom Leben hinter Gittern zu bekommen, wie er in Deutschland bereits seit Jahrzehnten nicht mehr dokumentiert wurde.