Erbe und Auftrag

geschrieben von Cornelia Kerth und Axel Holz

7. September 2016

Bundeskongress der VVN-BdA tagte zu Geschichtspolitik und Gedenkarbeit

Qualitativ war unser außerordentlicher Bundeskongress am letzten Mai-Wochenende ein Quantensprung. Statt eines Reden-Marathons gab es Gesprächsrunden zu verschiedenen Themen unter der Fragestellung »Was müssen, können, wollen wir?« in Form eines »World-Cafés«. Das ist eine Moderations-Methode, die allen Teilnehmenden ermöglicht, ihre Erfahrungen und Ideen einzubringen und so »kollektive Weisheit« bündelt. Dazu wurden eine Reihe von innovativen Erinnerungsprojekten vorgestellt und schließlich konnten Regionalgruppen diskutieren, was vom Kongress in die eigene Arbeit mitgenommen werden soll. Bei der Rückmeldung, die es dazu im Plenum gab, war durchweg eine lebendige und kreative Organisation zu erleben.
Ein Wermutstropfen ist allerdings die Beteiligung: nur zwei Drittel der ordentlichen Delegierten waren der Einladung gefolgt. Offensichtlich fällt es einigen Aktiven noch schwer, sich einen auf ein Thema beschränkten Kongress vorzustellen. Dafür war die Stimmung bei den Anwesenden im Bochumer Jahrhunderthaus ausgesprochen gut, auch weil der Kongress durch zahlreiche Projektpräsentationen im Foyer und zwei Rundgänge zu Stolpersteinen und zum »Bochumer Verein« zur regionalen Wirtschaftsgeschichte ergänzt wurde.
Im Einstiegsreferat am Freitagabend hatte Ulrich Schneider sechs wichtige Orientierungspunkte zur zukünftigen antifaschistischen Geschichts- und Erinnerungsarbeit herausgearbeitet. Im Unterschied zu vielen anderen leistet die VVN mit dem Projekt »Zeugen der Zeitzeugen« eine unverwechselbare authentische Geschichtsbegleitung, die zunehmend durch Videos, Lesungen, Collagen aus Fotos und überlieferten Texten und Interviews als »Ersatz« für die reale Begegnung mit Zeitzeugen ergänzt wird. Die Verortung von Geschichte in Form von geführten Rundgängen, Videowalks mit Auszügen aus Interviews von Zeitzeugen, Gedenkhinweisen oder den bereits etablierten Stolpersteinen schafft Bezüge zur eigenen Lebensumwelt. Neue Zugänge zu historischen Themen ergeben sich durch das Aufgreifen aktueller Bezüge. Aufgabe der VVN ist es, die politische Bandbreite des Gedenkens mit antifaschistischer Tradition zu verknüpfen. Die Nutzung neuer Medien wie Facebook für die Gedenkarbeit ist heute unerlässlich, jedoch dürfen auch die klassischen Medien, wie Flyer, Broschüren und Geschichtsblätter nicht vernachlässigt werden. Regional gibt es eine Vielzahl von Spezialisten in der antifaschistischen Geschichtsaufarbeitung, nun muss langsam auch der Nachwuchs aktiv an die Geschichtsarbeit herangeführt werden.
Ein gutes Beispiel dafür gaben Thomas Willms und Liza Mikosch, die am Beispiel des Begriffs »Waffen-SS« die Fallstricke bei Internetrecherchen aufzeigten, die die Nutzer auf schnellem Weg zu geschichtsrevisionistischen Darstellungen, Verharmlosung der faschistischen Verbrechen und positiven Bezugnahmen auf militaristische Deutungen führen können. Mit dieser Internet-Provokation wollten beide auf die Gefahren der neuen Medien und die Notwendigkeit der Vermittlung und Aneignung einer kritischen Medienkompetenz, besonders in Hinblick auf die meist im Netz aktiven Jugendlichen, aufmerksam machen.
Die Themen des World-Cafés hatte der Bundesausschuss mit Unterstützung durch die neu gegründete Bundeskommission »Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik« in mehreren Sitzungen erarbeitet. So brachten die Delegierten ihre Erfahrungen, Fragen und Ideen zu den Themenkomplexen Zeugen der Zeugen, alternative versus offizielle Geschichtspolitik, Gedenkarbeit in der Migrationsgesellschaft, jugendgerechte Formen der Erinnerungsarbeit und eigene Bildungsarbeit ein. Die dazu gesammelten Erkenntnisse in Stichworten sind – wie auch das Referat von Ulrich Schneider, die Präsentation zur Internet-Recherche und Fotos – auf unserer Homepage unter »Bundeskongresse« zu besichtigen.
Die 16 vorgestellten Projekte zur Erinnerungsarbeit reichten von einem Film und einer Kunst-Ausstellung zur Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma über eine Spurensuche zu den Verbrechen der Wirtschaft, mehrere modellhafte Stadtrundgänge – darunter ein Filmprojekt mit einer Schulklasse – , den Alfred-Hauser- Preis, eine reproduzierbare Gedenktafel für die ermordeten Säuglinge von Zwangsarbeiterinnen, Antifa-Radio und das Edelweißpiratenfestival bis zu unseren Homepages zu den Jahren 1933 und 1945 und zur FIR-Ausstellung »Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922-1945«. Ein Handout mit Beschreibung und Kontaktadressen wurde am Ende des Kongresses allen Delegierten ausgehändigt und wird auch auf der Homepage abrufbar sein.