Für ein tolerantes und weltoffenes Europa

7. September 2016

Delegierte aus zwölf Ländern Europas verabschiedeten folgende Entschließung

Das Internationale Ravensbrück-Komitee (IRK) ist sehr besorgt über die jüngste politische Entwicklung in Europa. Diese ist geprägt durch Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Rassismus. Rechtsextreme Gruppen und Parteien mobilisieren und radikalisieren große Teile der Bevölkerung mit populistischen Parolen. Sie schüren Zukunftsängste und stacheln damit den Hass auf alle Fremden an. Ihr Ziel ist ein anderes Europa, in dem wesentliche Elemente des bisherigen Wertekanons außer Kraft gesetzt werden.
Wir appellieren an das Europäische Parlament und an alle Regierungen Europas: Bieten Sie diesem Treiben Einhalt. Wir, die Verfolgten des Naziregimes und deren Angehörige, haben leidvoll erfahren, wohin eine solche Entwicklung führt.
Der europäische Gedanke, der verbunden ist mit Vorstellungen von Freiheit, Menschenrechten und Toleranz, hat seine Wurzel nicht zuletzt in der internationalen Solidarität, die die Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern im gemeinsamen Kampf ums Überleben praktizierten.
Wir verurteilen den islamistischen Terror. Aber dieser kann und darf nicht dadurch bekämpft werden, dass Grundrechte außer Kraft gesetzt werden.
Das Recht auf Asyl muss gewahrt bleiben. Europa darf sich nicht abschotten gegenüber Menschen, die in ihrer Heimat aus politischen Gründen verfolgt werden oder die vor Krieg und Gewalt flüchten. Wir erinnern daran, dass zahllose Verfolgte die Zeit des Naziregimes nur deshalb überleben konnten, weil sie als Flüchtlinge in anderen Ländern Zuflucht fanden.
Wir sind entsetzt über die Behandlung, die Flüchtlinge in Europa erfahren. Die verzweifelten Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, erinnern uns an die Todesmärsche der KZ-Häftlinge im Jahre 1945. Die Art, wie mit Frauen und Kindern umgegangen wird, empört uns. Sie suchen bei uns Schutz und werden stattdessen in den Lagern misshandelt und missbraucht.
Im Rückführungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei vom März 2016 sehen wir einen krassen Verstoß gegen das Asylrecht. Flüchtlinge werden zwangsdeportiert in ein Land, das sich über elementare Menschenrechte hinwegsetzt und das mit seiner Politik gegenüber dem »Islamischen Staat« zum Erstarken des islamistischen Terrors beigetragen hat.
Jetzt werden Menschen erneut gezwungen, riskante Fluchtwege über das Mittelmeer einzuschlagen.
Die Hoffnung der Menschen, ihr Anspruch auf ein Leben ohne Krieg, in Gerechtigkeit und in Freiheit, darf nicht durch Stacheldraht beschränkt werden. Es gilt zu verhindern, dass unsere Zeit eine Epoche des Massensterbens von Flüchtenden wird.
Wien, den 20.05.2016