Geheimnisse um »Corelli«

geschrieben von Janka Kluge

7. September 2016

Woran starb der Top-Informant des Verfassungsschutzes?

Manchmal gibt es Geschichten, die man sich gar nicht zu erzählen traut, weil sie zu unglaubwürdig sind. Die von Thomas Richter, der unter dem Tarnnamen Corelli 18 Jahre für den Bundesverfassungsschutz gearbeitet hat, ist so eine Geschichte. Unter der Führung des Verfassungsschutzes wurde er zu einem der führenden Nazis in den neuen Bundesländern. Egal, ob eine Kundgebung oder ein Konzert organisiert wurde, Thomas Richter war immer dabei. Im Laufe der Jahre wurde er so einer der wichtigsten Informanten seiner Auftraggeber. Fast 250 000.- Euro hat das Amt direkt an ihn gezahlt, die er zu einem großen Teil wieder in die Infrastruktur neonazistischer Gruppen steckte. Obwohl er schon vor vielen Jahren aus den Nazistrukturen aussteigen wollte, ließ ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht gehen. Er war als Informant zu wichtig für sie. Es war ein großer Schock als er 2012 enttarnt wurde und die Presse über ihn berichtete.
Nach seiner Enttarnung flog ihn das Bundesamt sofort ins Ausland. Später kam er in den Zeugenschutz und lebte unter falscher Identität in der Nähe von Paderborn. Im Zusammenhang mit den Versuchen, die Morde des NSU-Kerntrios aufzuklären, tauchte der Name »Corelli« immer wieder auf. Er stand auf der Telefonliste, die bei der Durchsuchung einer Garage in Jena gefunden wurde. Während der Durchsuchung flüchtete Uwe Mundlos und tauchte zusammen mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter. Thomas Richter hat später ausgesagt, dass er nicht wisse, wie seine Telefonnummer auf die Liste gekommen sei, weil er keinen von den Dreien persönlich gekannt habe. Noch später wurde jedoch eine Notiz gefunden, in der er angab, zumindest einmal mit Uwe Mundlos zusammengetroffen zu sein.
2005 hat Corelli dem Verfassungsschutz eine DVD mit dem Titel »NSU/NSDAP« übergeben. Diese DVD war bis zum Februar 2014 in den Archiven des Hamburger Verfassungsschutzes verschwunden. Aussteiger haben berichtet, dass die DVD in großer Zahl innerhalb der rechten Szene verteilt wurde. Anfang April 2014 informierte dann das Bundeskriminalamt das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass die DVD von Corelli übergeben worden sei. Als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ihn drei Tage später befragen wollten fanden sie nur noch seine Leiche. Der hinzugezogene Gutachter, Werner Scherbaum, kam zu dem Ergebnis, dass er an einer nicht erkannten Diabetes gestorben sei.
Jetzt nahm Scherbaum, der als Spezialist für Diabetes mit dem Gutachten betraut worden war, vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf seine Aussagen teilweise zurück. Entgegen seiner bisherigen Darstellung gab er nun an, dass ihm nicht klar gewesen sei, welche Brisanz dieses Gutachten gehabt hätte. Außerdem sei er kein Fachmann für die Wirkung von Giften. Nachdem er sich jetzt weiter informiert habe, müsse er sagen, dass es doch ein Rattengift gibt, das die gleichen Symptome wie ein Zuckerschock hervorruft. Allerdings gehe er weiter von einem natürlichen Tod aus, weil am Bett des Toten Wasserflaschen und Mittel gegen Brechreiz gefunden worden sind.
In seiner Aussage bezog er sich auf eine Studie aus den USA, wonach bei den untersuchten Selbstmorden mit diesem Rattengift nur ein Mensch innerhalb eines Tages gestorben ist. Die anderen erkrankten zuerst an Diabetes und starben erst Wochen später. Auf den ersten Blick wurde dann eine nicht erkannte Diabetes als Todesursache angenommen, weil der Zusammenhang mit dem Rattengift nicht mehr offensichtlich war. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt angekündigt, dass sie die Ermittlungen neu aufnehmen werde. Als erster Schritt sollen die Leichenasservate, die in der Universität Münster eingelagert sind, untersucht werden.
Zu den Ungereimtheiten im Fall »Corelli« gehört auch, dass ein angeblich verschwundenes Handy, das er vom Amt zur Verfügung gestellt bekommen hat, nun in einem Tresor gefunden wurde. Der Verfassungsschutz hatte zuvor angegeben, dass das Handy verschwunden sei. Nach dem Fund des Handys in den Tiefen des Tresors war zwar das Gerät da, aber nicht die Sim-Karten. Einen Monat später sind jetzt auch fünf Sim-Karten aufgetaucht. Da sie bis jetzt verschollen, oder versteckt, waren konnten ihre Daten weder in den Untersuchungsausschüssen noch im Prozess gegen Beate Zschäpe in München eingebracht werden. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung, des NDR und WDR sind darunter auch die, die Thomas Richter noch kurz vor seinem Tod benutzt hat.
Es stellt sich wieder einmal mehr die Frage, wie dilettantisch das Bundesamt für Verfassungsschutz organisiert ist. Aber vielleicht steckt auch die Angst dahinter, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz schon viel früher als angegeben von den Morden des NSU-Kerntrios gewusst hat. Eventuell könnte sich aber auch bestätigen, dass Beate Zschäpe zumindest zeitweise für das Amt gearbeitet hat. Es gab immer wieder Gerüchte, die das seit Jahren thematisieren. Träfe das zu, wäre der Verfassungsschutz viel tiefer in die Verbrechen des NSU verstrickt, als bisher angenommen.