Eine Aufgabe für alle

geschrieben von Renate Hennecke

2. August 2018

 2. August: Internationaler Gedenktag an den Völkermord an Sinti und Roma

Wie jedes Jahr seit 1985 versammeln sich auch heuer am 2. August Sinti und Roma aus vielen europäischen Ländern in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz, um der Opfer des NS-Völkermords an ihrer Volksgruppe zu gedenken. Und um zu feiern: dass sie da sind, dass es den Nazis nicht gelungen ist, ihre Pläne zu verwirklichen und die Sinti und Roma vollständig auszulöschen.

Der 2. August ist der Jahrestag der Liquidierung des sog. »Zigeunerfamilienlagers Auschwitz-Birkenau«. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden, nach Selektion und Abtransport der noch Arbeitsfähigen in andere KZs, alle im Lager verbliebenen Häftlinge – 2897 Frauen, Kinder, Alte und Kranke – in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Die Gedenkveranstaltungen am 2. August werden mit organisiert durch den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Sie sind Teil der Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung, die sich in der BRD seit den 1970er Jahren entwickelt hat. Als 1973 der Heidelberger Sinto Franz Lehmann von der Polizei erschossen wurde, organisierte der dortige »Verband Deutscher Sinti« eine erste Demonstration durch die Heidelberger Innenstadt. 1979 fand auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen die erste internationale Gedenkkundgebung zur Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma statt. Die Redner forderten ein Ende der Diskriminierung und die offizielle politische Anerkennung des NS-Völkermordes. Ostern 1980 folgte der einwöchige Hungerstreik von zwölf Sinti in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau. Vom bayerischen Innenministerium verlangten die Hungerstreikenden, darunter ehemalige Auschwitz-Häftlinge, Aufklärung über den Verbleib der zum Teil noch aus der NS-Zeit stammenden und bis in die 1970er Jahre gegen Sinti und Roma verwendeten Akten der ehemaligen »Landfahrerzentrale«. Im Februar 1982 wurde von neun regionalen Verbänden der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegründet.

Kurz darauf, am 17. März 1982, nannte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt beim Empfang einer Delegation des Zentralrats die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma erstmals in völkerrechtlich bedeutsamer Weise einen Völkermord aus Gründen der sog. »Rasse«. Im September 1982 konnte der Zentralrat dann in einer von der Bundesregierung finanzierten Geschäftsstelle in Heidelberg seine Arbeit aufnehmen.

In den seither vergangenen 36 Jahren hat die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma viel erreicht. So konnten zum Beispiel viele vorher abschlägig beschiedene Entschädigungsanträge erfolgreich neu gestellt werden. Das heißt nicht, dass es keine Vorurteile, keine Diskriminierung mehr gäbe. Noch immer wagen es viele Angehörige der Minderheit nicht, sich als solche zu outen, weil sie rassistische Anpöbeleien oder sogar Handgreiflichkeiten befürchten. Noch immer ist, im Unterschied zum Antisemitismus, der Antiziganismus nicht gesellschaftlich geächtet. Noch immer sind Sinti und Roma auch bei Ämtern und Behörden mit rassistischen Verhaltensweisen konfrontiert.

Doch wird das Problem zunehmend in der Öffentlichkeit thematisiert, und es existiert eine gewisse Infrastruktur, die sich für die Belange der Minderheit einsetzt. Sinti und Roma lassen sich nicht mehr so einfach an den Rand drängen. Ein Beispiel dafür waren die Gedenktage an die auf Grundlage von Himmlers »Auschwitz-Erlass« im März 1943 nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma aus München. Die Veranstaltungen fanden nicht im Verborgenen, in Gasthof-Hinterzimmern statt, sondern in Münchens »guten Stuben«: in den Kulturhäusern der Stadtteile, auf dem zentral gelegenen Platz der Opfer des Nationalsozialismus unter Beteiligung des Oberbürgermeisters und im großen Sitzungssaal des Rathauses. Selbst im Polizeipräsidium wurden die Verbrechen der Vergangenheit beim Namen genannt.

Trotz derartiger positiver Beispiele ist die Zahl antiziganistischer Vorfälle weiterhin beklemmend hoch. Allein in Berlin wurden 2017 von dem Verein Amaro Foro e.V. 167 Fälle von Diskriminierung, zum großen Teil im Kontakt mit Behörden, dokumentiert. Die Vertreter der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma betonen, dass die Bekämpfung des Antiziganismus keine Sache ist, die vor allem die Minderheit angeht. Es ist eine Frage der Demokratie – eine Aufgabe für alle.