Immer noch ein kurzer Traum

geschrieben von Ernst Antoni

21. September 2018

Neuerscheinungen zur bayerischen Revolution 1918

»Der kurze Traum vom Frieden« heißt eine in diesem Jahr erschienene umfangreiche historische Studie des Münchner Autors Günther Gerstenberg im Haupttitel. Sie versteht sich als »Beitrag zur Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918« und wird ergänzt durch einen »Exkurs über die Gießener Jahre von Sarah Sonja Rabinowitz«, verfasst von Cornelia Naumann.

Die Autorin, ebenfalls in München beheimatet, hat sich der von ihr porträtierten »vergessenen Revolutionärin« – nachdem diese geheiratet hatte, hieß sie Sonja Lerch – auch literarisch genähert und einen Roman über die Frau verfasst, die an der Seite von Kurt Eisner und anderer Revolutionäre die Gründung des »Freistaats Bayern« anging und im März 1918 im Gefängnis tot aufgefunden wurde. »Der Abend kommt so schnell« heißt der Roman.

Cornelia Naumann, Günther Gerstenberg, Gegen Eisner, Kurt und Genossen wegen Landesverrats. Ein Lesebuch über Münchner Revolutionärinnen und Revolutionäre im Januar 1918, edition av Bobenburg, 310 S., 24,90 €

Cornelia Naumann, Günther Gerstenberg, Gegen Eisner, Kurt und Genossen wegen Landesverrats. Ein Lesebuch über Münchner Revolutionärinnen und Revolutionäre im Januar 1918, edition av Bobenburg, 310 S., 24,90 €

In der SPD-Zeitung »Vorwärts« vom 2. April 1918 stand: »Im Untersuchungsgefängnis in Stadelheim erhängte sich nachmittags die beim letzten Streik bekanntgewordene Frau Sara Sonja Lerch, gegen die zusammen mit dem Schriftsteller Kurt Eisner ein Landesverratsverfahren eingeleitet war. – Die Umstände, unter denen die bedauernswerte Frau zu ihrer Verzweiflungstat getrieben wurde, bedürfen der Aufklärung. Soviel wie wir wissen, handelt es sich im Falle der Frau Lerch, einer geborenen Russin, um eine reine Idealistin, die mit ihrer Streikpropaganda der Sache der Menschheit einen Dienst zu erweisen glaubte.«

Im Buch »Der kurze Traum vom Frieden«, in dem das Faksimile des gesamten Artikels abgedruckt ist, aus dem ja schon eine gewisse Distanz von Seiten der Mehrheits-SPD spricht, ist auch noch ein Zitat einer Dame des gehobenen Münchner Bürgertums angesichts des Todesfalles zu finden. Es sei nicht schade um die Tote gewesen, meint die Gattin eines Akademikers, denn: »Man hat sie allgemein die russische Steppenfurie genannt, sie hat die Arbeiter stärker aufgestachelt als Eisner.« Dieser Satz findet sich übrigens in den damals entstandenen Tagebuchaufzeichnungen des Romanisten Viktor Klemperer.

Cornelia Naumann und Günther Gerstenberg, so kürzlich anerkennend eine Berichterstatterin der »Süddeutschen Zeitung«, hätten »nach jahrelanger Recherche (…) in diesem Jahr in einer Art Mehrstufenplan ihre Ergebnisse« zu Leben und Werk jener aus Russland stammenden Aktivistin des jüdischen Arbeiterbunds Sarah Sonja Rabinowitz präsentiert, die 1905 bereits einmal in Odessa inhaftiert worden war, danach über Wien und die Schweiz nach Frankfurt/Main kam, in Gießen studierte und promovierte und schließlich den Münchner Romanisten Eugen Lerch heiratete.

Dieser reicht dann just bei ihrer erneuten Inhaftierung die Scheidung ein. Es sind aber nicht allein der Lebenslauf und das Schicksal von Sonja Lerch, den Naumann und Gerstenberg uns mit ihren Veröffentlichungen nahebringen. Wir lernen noch eine Reihe weiterer Persönlichkeiten der Jahre 1918 und 1919 in Bayern kennen und viel über die Hintergründe, die schließlich zur Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner führen, zu den darauf folgenden unterschiedlichen Räterepublik-Versuchen und zum »weißen Terror« der Konterrevolution, der all dem ein Ende setzt.

Und, das ist besonders aktuell und wichtig: Deutlich wird, wie sich vieles von dem, das sich ab 1933 von Deutschland aus an Rassenhass und Massenmord über Europa und die Welt verbreiten wird, seinen Ausgang findet in jenen Jahren. Wie Antisemitismus und andere rassistische und fremdenfeindliche Diffamierungen ihre Verbreitung finden, wie mit der »Dolchstoßlegende« einem neuen deutschen Militarismus Auftrieb gegeben wird, wie ein kurzzeitig weltoffenes München und Bayern wieder zurückgeschraubt wird ins dumpfbackig Provinzielle, das in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhundert dann Autoren wie Lion Feuchtwanger und Oskar Maria Graf trefflich darzustellen wussten. Was sie im darauf folgenden Jahrzehnt prompt zu Flüchtlingen werden ließ…

In diesem Jahr 2018 lässt sich in Bayern und vor allem in München auch in Bezug auf die hundertste Wiederkehr von Kriegsende, Revolution und den Entwicklungen, die dieser dann schnell ein blutiges Ende machten, manches beobachten. Auch Positives, was den Umgang mit diesen Erinnerungen, zumindest in der Landeshauptstadt, betrifft. Nicht zuletzt in diversen lokalen Medien, die bereit scheinen, sich zunehmend auch andere als die lange überlieferten Blickwinkel anzueignen.

Zu danken ist das vielen Engagierten, die Autorin und der Autor der erwähnten Werke gehören dazu. Aber auch Institutionen wie das »Kulturforum« der Gewerkschaft ver.di in Bayern und andere Einrichtungen. Bei denen mit Ausstellungen und anderen Mitteln immer wieder auf öffentliche Wirkung gesetzt wird.

Cornelia Naumann, Der Abend kommt so schnell, Gmeiner Verlag Meßkirch, 409 S., 16 €

Günther Gerstenberg, Der große Traum vom Frieden, edition av, Bodenburg, 453 S., 24,50 €

Cornelia Naumann (Hrsg.), »Ich hoffe noch, dass aller Menschen Glück nahe sein muss …« . Fragmente eines revolutionären Lebens. Briefe von und über Sarah Sonja Rabinowitz, edition av, Bodenburg 180 S. 19;90 €