Rassismus ist alltäglich

31. Januar 2019

Rede von Romani Rose am 13. Dezember 2018 in Sachsenhausen

Der 16. Dezember 1942, als Himmler die familienweise Deportation unserer Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau angeordnet hat, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis unserer Minderheit eingebrannt.

Für uns Sinti und Roma ist dieses historische Datum untrennbar mit dem Verlust unserer Familienangehörigen verbunden. Der 16. Dezember 1942 ist ein Datum in der Geschichte, aber für uns ist diese Geschichte nach wie vor gegenwärtig.

Die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordeten Menschen haben keine Gräber, sie wurden verbrannt und ihre Asche in Flüsse geschüttet oder auf Äckern verstreut…

Dem radikalen Zivilisationsbruch, der auch durch den Holocaust an über 500.000 Sinti und Roma in Europa markiert wird, gingen Jahre der Ausgrenzung und Entrechtung voraus. Hierzu gehörte auch die Propaganda gegen Sinti und Roma ebenso wie gegen Juden, die als sogenannte »Fremdrassen« zuerst kriminalisiert und dann deportiert wurden. In der Öffentlichkeit wurde zuerst systematisch eine Stimmung gegen die Minderheiten erzeugt, so dass dann die nachfolgenden Deportationen als zwangsläufig im Interesse des Staates und der Bevölkerung erscheinen mussten.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, während seiner Rede. Foto: Wilhelm Girod

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, während seiner Rede. Foto: Wilhelm Girod

Wir müssen uns heute gegen eine ähnliche Entwicklung zur Wehr setzen. Es mag sein, dass wir als Minderheit eine besondere Sensibilität für die Bedrohung unseres Rechtsstaates entwickelt haben.

Aber die immer wiederkehrende Stigmatisierung von Sinti und Roma in den Medien, die jetzt erneut bekannt gewordene Erfassung von Angehörigen unserer Minderheit in der Polizeistatistik des Landes Berlin allein aufgrund der Abstammung, all dies zeigt, dass es einen tiefsitzenden und nach wie vor akuten Antiziganismus gibt, der gerade auch in den Institutionen unseres Landes nach wie vor existiert. Nach wie vor meinen einzelne Medien – wie beispielsweise der Spiegel – Kriminalität mit der Abstammung verbinden zu müssen.

Es ist eine schlimme deutsche Tradition, Kriminalität an der Abstammung festzumachen. Hierzu hat der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, schon anlässlich einer ähnlichen Verlautbarung eines Beamten der Bundespolizei erklärt, dass »selbstverständlich die Staatsbürgerschaft eines jeden Bürgers nicht dadurch in Frage gestellt werden darf, indem die Abstammung zum Kriterium der polizeilichen Arbeit gemacht wird.«

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung von Sinti und Roma in Deutschland erneut messbar gestiegen. Die neue Studie der Leipziger Universität zeigt: Sinti und Roma ziehen bei weitem die meiste Aggression auf sich. 56 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnen Sinti und Roma als Nachbarn ab. Über 60 Prozent (im Osten Deutschland annähernd 70 Prozent) der Bevölkerung glaubt, Sinti und Roma neigten zu Kriminalität.

Diese Zahlen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sie gleichermaßen in den Nachkriegsjahren auch gegenüber Juden in Deutschland gegolten haben, sind alarmierend.

Sie sind das Ergebnis eines alltäglichen Rassismus, eines als »normal« empfundenen Antiziganismus, der von Teilen der Polizei und einzelnen Medien systematisch benutzt wird.

Wir begrüßen es daher außerordentlich, dass die Bundesregierung jetzt eine unabhängige Expertenkommission Antiziganismus beruft, die im Laufe dieser Legislaturperiode ihren Bericht abliefern und konkrete Empfehlungen für die Bekämpfung des Antiziganismus abgeben wird.

Heute werden lange Zeit selbstverständliche Errungenschaften unserer offenen demokratischen Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt. Nationalistische und populistische Bewegungen treiben die Spaltung unserer Gesellschaft immer weiter voran. In vielen Bundesländern gibt es schon heute eine Polarisierung der Gesellschaft und eine Stärkung des nationalistischen Randes. Wir müssen feststellen, dass bei uns in Deutschland nationalistische und populistische Kräfte, die erneut ein menschenverachtendes »völkisches« Denken propagieren, an Einfluss gewinnen.

Für uns Sinti und Roma bergen diese sich verschärfenden gesellschaftlichen Konflikte eine große Gefahr. Denn antidemokratische Strömungen brauchen Feindbilder, um die Ängste von Menschen für ihre politischen Zwecke auszubeuten. Dabei fällt Minderheiten stets die Rolle des Sündenbocks zu. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass derartige Angriffe auf Minderheiten im Kern immer auf unseren Rechtsstaat, auf unsere Demokratie zielen.

Umso wichtiger ist die Arbeit der Gedenkstätten in Deutschland und in Europa. Diese Arbeit ist in ihrem Wert für uns alle nicht hoch genug zu würdigen, und ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte Sachsenhausen, stellvertretende für alle in den anderen Gedenkstätten, für die wichtige Arbeit, die sie hier tun. Es ist für uns eine gute Tradition, mit Ihnen hier anschließend beim Gespräch zusammenzutreffen.

Am 13. Dezember 2018 erinnerte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in der Gedenkstätte Sachsenhausen am zentralen Gedenkort Station Z mit einer Gedenkveranstaltung und einer Kranzniederlegung an die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma.