Kulturelle Kontinuitäten

geschrieben von Markus Roth

30. Mai 2019

Wie NSDAP- und AfD-Wahlergebnisse zusammenhängen

Seit dem Aufstieg der AfD wird gerätselt, woher der wachsende Zuspruch für die Partei am rechten Rand kommt. Warum wird die AfD gewählt, von wem wird sie gewählt und was wird sich von der Wahl versprochen? Viele Parteien- und Sozialwissenschaftlerinnen haben sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Mittlerweile gibt es viele gute Studien, Thesen und darauf aufbauende Konzepte gegen die Wählerwanderung nach rechts. Nach den Analysen des Gegenstands, also der AfD und ihren Vertreterinnen, ihrer Medienkompetenz, den populistischen Zuspitzungen und der Wirkung der Partei im öffentlichen Raum, wurde sich bald auch sozialpsychologisch den Wählerinnen und Wählern zugewandt.

Deutsche Besonderheiten

Welche biografischen Bedingungen machen das Kreuzchen bei der AfD wahrscheinlich? Handelt es sich eher um Trotzverhalten, also um eine negative Wahlentscheidung aus Enttäuschung über andere politische Akteure, oder um die Wahl eines bestimmten politischen Kurses der Abschottung und Rückwärtsgewandtheit? Die Schnellschüsse lauteten ähnlich wie in den anderen europäischen Staaten: Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Politikverdrossenheit, kulturelle und soziale Ausgeschlossenheit sind ausschlaggebend für Wahlerfolge des Rechtspopulismus. Doch diese Faktoren allein können in Deutschland nicht den Aufstieg der AfD erklären. Anders als in anderen Ländern, ist Deutschland gestärkt aus den Wirtschaftskrisen hervorgegangen, konnte die eigene Stellung in Europa und auf dem Weltmarkt ausbauen und die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tiefpunkt. Es mag sein, dass in Teilen die subjektive Statuspanik der am weiteren Aufstieg gehinderten deutschen Mittelklasse der AfD in die Hände gespielt, doch dies wohl nicht in dem Maße, um alle Tabus der deutschen Nachkriegsgeschichte über Bord zu werfen.

Studienlage verbessert

Neuere Studien können anhand größerer und langwieriger Befragungen und sozialstruktureller Kennzahlen nun konkreter werden und einige Thesen der letzten Jahre korrigieren. Demnach lassen sich keine Korrelationen beispielsweise zwischen Arbeitslosigkeit, Bildungsgrad und Migrationsanteil an der Bevölkerung und rechtem Denken nachweisen. Dass diese Faktoren in bestimmten Regionen, unter bestimmten lokalen Voraussetzungen, sehr wohl ausschlaggebend sein können, sei dabei unbeachtet. Das Fazit zur Bundestagswahl 2017 war beispielsweise, dass die AfD im Osten in dünn besiedelten Räumen mit Überalterungsproblem stark war, wohingegen sie im Westen in Wahlkreisen punkten konnte, wo der Anteil an Industriearbeiterinnen oder niedrigem Einkommen hoch ist (1).

Alte und neue Korrelationen

Im Februar erschien nun eine neue Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der LMU-München, die den Faktor »Kulturelle Kontinuitäten« hinzunimmt (2). Sie vertreten die provokante These, dass es einen Zusammenhang zwischen NSDAP-Wahlergebnissen (1928-1933) und AfD-Wahlergebnissen (2017) gibt, der in der Kontinuität traditionsgebundener Vorlieben für (extrem) rechte Parteien im ländlichen Raum zu suchen ist. Solche Vorlieben oder politische Traditionen erhalten sich in Kontexten, die eher weniger Kontakt mit anderen Lebensstilen und politischen Denkweisen haben. Also vor allem in kleineren Ortschaften. Das Denken, die Art und Weise ,auf die Welt zu schauen, wird an folgende Generationen weitergegeben. Den Forschern ist aufgefallen, dass dort wo die NSDAP stark war, heute auch die AfD stark ist. Auf Befragungen zu Einstellungsmustern der letzten 20 Jahre konnte zurückgegriffen werden. Demnach gibt es in den betreffenden Gemeinden schon lange rechte bis extrem rechte Denkweisen, die aber bis zur Gründung der AfD keine ernstzunehmende parteiliche Entsprechung fanden.

Und eine weitere Korrelation wird in der Studie nachgewiesen: Sobald in die Gemeinden von außen Menschen zuwandern und heimisch werden, verändert sich auch das Wahlverhalten. Die Kontinuitäten des Denkens werden gebrochen. Dörfer in denen deutsche Umgesiedelte nach 1945 untergebracht wurden, neigten in der Zukunft weniger zu rechten Einstellungsmustern, da sie die Geschichten von Krieg, Flucht, Vertreibung und Solidaritätserfahrungen direkt vor Augen hatten. Genauso ist es in den Gemeinden wo nach 2015 Flüchtlinge unterkamen. Die AfD-Ergebnisse nahmen hier merklich ab. Der differenzierende Blick und die Hinzunahme weiterer Variablen scheint für die Analyse von Wahlergebnissen also hilfreich.

(1) Christian Franz, Marcel Fratzscher und Alexander S. Kritikos »AfD in dünn besiedelten Räumen mit Überalterungsproblemen stärker« 2018

(2) Davide Cantoni; Felix Hagemeister und Mark Westcott: »Persistence and Activation of Right-Wing Political Ideology« 2019