Antifaschismus als Aufgabe

geschrieben von Ulrich Sander

14. Juli 2019

Dritte Broschüre der »Kinder des Widerstandes« erschienen

Da sind 28 »Kinder des Widerstandes« im vorgerückten Alter. Sie haben sich in drei kleinen roten Büchern zu Wort gemeldet. Zuerst trauten sich die Frauen, inzwischen ist das Verhältnis 17 Frauen zu elf Männern, die über ihre Kindheit und Jugend als Nachkommen von Widerstandskämpfern und Opfern des Faschismus berichten, oder sich als Freunde dieser Menschen zu Wort meldeten.

Viele der Geschilderten waren als Zeitzeugen tätig, nun weilen sie nicht mehr unter uns, und ihre Kinder, Enkel und Freunde wurden nun zu Zeugen der Zeugen. Das Band der Erinnerungen soll nicht reißen.

Foto: jochen vogler/r-mediabase.eu

Foto: jochen vogler/r-mediabase.eu

Hatten sich im ersten Band zunächst die Gründerinnen des Personenkreises der »Kinder des Widerstandes« mit der Zusatzbezeichnung »Antifaschismus als Aufgabe« präsentiert, so kommen nun Autoren einzelner Regionen zu Wort. In Nr. 3 gibt es eine Besonderheit. Drei Düsseldorferinnen stellen sich als »Kinder« auch von Adam Niewel und seiner Frau Marlies vor. Diese hatten keine eigenen Kinder, aber sie waren liebevolle ältere Kameraden. Sie förderten den Zusammenhalt der Kinder von Widerstandskämpfern und Kommunisten. Adam, ehemaliger Schauspieler, leitete die Kinderlaienspielgruppe, die wiederum u.a. vor Verfolgten des Naziregimes auftrat. Aber nur sparsam war Adam mit Auskünften über seine harte Jugend. Auch nach 1945.wurde er Opfer. Er musste die Kürzung seiner Rente hinnehmen, weil er Kinder im Rahmen der »kommunistisch gelenkten Kinderverschickungsaktion in die SBZ« betreut hatte.

Sehr beeindruckend sind bereits die Vorworte. Florence Hervè schreibt: »Es ist zu hoffen, dass viele weitere Geschichten folgen und die Kinder des Widerstandes Gehör finden.« Den Düsseldorfer Band leitet der legendäre Wagenbauer der Karnevalzüge am Rhein, Jacques Tilly, ein: »Ich danke den Kindern des Widerstandes und der VVN-BdA für ihre unverzichtbare und konsequente politische Arbeit. Dieses Engagement ist gerade in dieser Zeit, in der eine rechtspopulistische bis rechtsradikale Welle um den Globus rast und ein Land nach dem anderen infiziert, einfach unverzichtbar.«

Auch Kritisches – er vermisste mehr Würdigungen für nicht aus der Arbeiterbewegung stammende Zeitzeugen – merkt der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) in seinem Vorwort an. Er erinnert daran, »dass es die unversöhnliche Spaltung der Arbeiterbewegung und die Geringschätzung vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber der parlamentarischen Demokratie am Ende der Weimarer Republik waren, die den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigten.« Kurzbach benennt westdeutsche Ungerechtigkeiten infolge der Kommunistenverfolgung durch Staatsanwälte und Polizisten, »die zum großen Teil schon den Nazis gedient hatten.«

Weniger das Leben der Autoren als das Leben und der Kampf der Eltern und Großeltern stehen im Vordergrund der Darstellungen. Oft werden ihre Nachkriegsbiographie und der Umgang mit ihren Familien bewegend geschildert. Die manchmal schwierige Wiederannäherung nach der Rückkehr aus jahrelanger Haft, das Mitleiden mit den Eltern, aber auch die Freude des Wiedersehens – all das steht vor dem Leser auf. Sehr wertvoll sind die Fußnoten zur Erklärung der Texte, geschrieben von Renate Hartmann. Dadurch könnten die Texte auch zur Schulliteratur werden.

Ein Brief an 800 Schulen in Nordrhein-Westfalen ging inzwischen heraus, mit dem diesen der Besuch der Autorinnen und Autoren angeboten wird.

Gleich welcher linken Herkunft sie waren – die Autorinnen und Autoren vertreten eine Minderheit, wie ja auch die Widerstandskämpfer eine kleine  Minderheit im Nazi-Reich stellten – geschätzt waren es ein Prozent der Bevölkerung. Eine Gemeinsamkeit gab es zumeist mit der Mehrheitsgesellschaft. Die Eltern und Großeltern breiteten nur zögerlich ihre Vergangenheit, die doch eine gute, vorzeigbare war, vor den Kindern aus. Und wo es anders war, da litten die Kinder bisweilen durchaus. Sie litten unter neuer politischer Verfolgung – wie dem KPD-Verbot – ihrer Eltern, unter Bespitzelung durch Lehrer (wer war in der »Zone« im Urlaub?) und vorher durch die Gestapo. Bekannt war bereits aus anderen Veröffentlichungen, dass Gestapobeamte mit kleinen Jungen durch die Stadtteile zogen, um rauszukriegen, wo die Eltern ihre Besuche machten. Oder sie wurden in Nazielternhäuser gesteckt, während die Eltern inhaftiert waren. Auch Misshandlungen in Erziehungsheimen kamen vor.

Die drei kleinen Bände, denen weitere folgen sollen (Band »Duisburg« und »Essen« z.B. sind in Arbeit) und denen Bände aus anderen Bundesländern zur Seite gestellt werden können, eignen sich als Vorlagen für Referate und auch für literarische Arbeiten. Und dies bei aller Unterschiedlichkeit. Der Bewegung der »Kinder«, der zweiten und dritten Generation, der Nachkommen, wie es bei den Buchenwaldern heißt, ist Erfolg zu wünschen. Ganz im Sinne des Untertitels ihrer roten Bände: »Antifaschismus als Aufgabe«.