Wer erinnert heute an wen? Gedenkpolitik als Ausdruck nationalistischer Narrative

geschrieben von Franziska Bruder

23. März 2020

Am 19. April 2020 wird der 75. Jahrestag der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück begangen. Wie derzeit auch an anderen Orten wie bspw. dem Marzahner Parkfriedhof im Januar 2020, erwarten AntifaschistInnen dort erinnerungspolitische Konflikte. Seit 2018 mussten sie sich hier mit dem geschichtspolitisch exklusiven Agieren der rechts-konservativen polnischen PiS-Regierung und ihrer Anhänger sowie dem Auftreten rechtsextremer Polen mit Fahnen der Narodowe Siły Zbrojne (NSZ, Nationale Streitkräfte) auseinander setzen.

Dahinter stehen erinnerungspolitische Konflikte, wie sie sowohl in Deutschland als auch in Polen ausgetragen werden. Antifaschisten in beiden Ländern kritisieren das positive Erinnern der Angehörigen von Tätergruppen, denn dies leugnet deren Verantwortung für Verbrechen. Zudem verfälschen die Nicht-Anerkennung von Opfergruppen (bspw. von Zwangsarbeiterinnen oder von Opfern der Massaker in Griechenland und Italien) und das exklusive Beachten nur ausgewählter Gruppen das Geschichtsbewusstsein und damit verbundene Rechtsansprüche.

Die NSZ waren während und nach dem 2. Weltkrieg eine extrem nationalistische, antisemitische und antikommunistische militärische Formation, die polnische Linke, Juden und Angehörige nationaler Minderheiten wie Ukrainer bekämpfte und ermordete. Seit 2011 werden die NSZ von der jeweiligen polnischen Regierung als Teil des antikommunistischen Widerstandes geehrt. Präsident Andrzej Duda übernahm z.B. im August 2019 die Schirmherrschaft für die Feierlichkeiten anlässlich des 75. Bestehens einer Brigade der NSZ.

Bei der Gedenkfeier 2018 in Ravensbrück gezeigte T-Shirts mit der Parole: »German Death Camps – not Polish – Remember!« (Deutsche Todeslager – nicht polnische – Denkt daran!«) trugen Mitglieder der NGO Polnische Werte aus Szczecin. Die Parole bezieht sich auf eine geschichtspolitische Initiative der PiS im Zusammenhang mit einer Gesetzesveränderung im Januar 2018, mit der das »Verunglimpfen der polnischen Nation« strafrechtlich geahndet werden sollte. Zahlreiche polnische und nicht-polnische HistorikerInnen kritisierten das Vorhaben massiv aufgrund der Befürchtung, dass damit Forschung und eine kritische Auseinandersetzung zum Verhalten christlicher Polen während der Shoah unmöglich gemacht werden sollen.

Nach internationalen diplomatischen Konflikten wurde der Strafrechtspassus aus dem Gesetz gestrichen. Die Parole auf den T-Shirts bezieht sich auf bisweilen in der Presse oder in Filmen verwendete Formulierungen, z. B. von »polnischen Konzentrationslagern«, wenn NS-KZs im besetzten Polen gemeint sind. Hier unterstellt die PiS generell die Intention, die Verantwortung der Nationalsozialisten für die Verbrechen des 2. Weltkrieges und vor allem für die Shoah auf Polen abzuwälzen und eben »die Nation« zu verunglimpfen. Bezüglich Ravensbrück geht die zitierte Parole jedoch fehl, da das KZ nicht im besetzten Polen, sondern im Deutschen Reich lag. Das Tragen der T-Shirts war mithin eindeutig politisch-propagandistisch motiviert. Die T-Shirt-tragende Gruppe stand bisweilen mit den NSZ-Sympathisanten zusammen und agierte aggressiv gegenüber Teilen der Uckermark-Initiative und der Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis, die sie auf ihre T-Shirts, Transparente und Fahnen ansprachen.

Die erinnerungspolitischen Konflikte in Ravensbrück stehen nicht alleine. Das zeigte sich am 1. August 2019 anlässlich des Jahrestages zum Warschauer Aufstand 1944 auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Hier liegen über 500 im KZ-Außenlager Katzbach ermordete polnische Gefangene. In dem Sammelgrab des KZ liegen darüber hinaus auch Menschen aus anderen Ländern, ebenfalls ehemalige Häftlinge des Lagers. 2019 waren auch polnische Fußballfans bei den Frankfurter Feierlichkeiten anwesend. Sie zeigten Symbole der NSZ und skandierten Parolen. Sowohl die exklusive durch die Polnische Katholische Mission ausschließlich auf Polnisch abgehaltene Messe als auch das exklusive Erinnern wurde von Teilnehmerinnen der Gedenkveranstaltung kritisiert. Denn keinen Platz hatte das Gedenken an die auch in Katzbach gefangenen Juden, Russen, Ukrainer, Deutsche, Franzosen und Roma.

Das exklusive Erinnern passt zum geschichtspolitischen Narrativ der PiS-Regierung, die »Polen« als katholisch, ethnisch-polnisch definiert und ausschließlich als widerständig oder als Opfer der Nazis. Dieses Narrativ ist in Polen heftig umstritten.

Auf der Gedenkfeier 2020 in Ravensbrück wird ggfs. Präsident Duda anwesend sein, die Polnische Katholische Mission und andere Organisationen mobilisieren dorthin, auch NSZ-Sympathisanten sind zu erwarten. Noch ist nicht bekannt, wie die AfD mit der Gedenkfeier umgehen wird.

Antifaschistinnen und Antifaschisten sollten daher nicht nur zahlreich zum Erinnern und Mahnen erscheinen, sondern auch ihr unteilbares Opfergedenken und ihre Kritik an jedem Faschismus, Rassismus und Antisemitismus deutlich sichtbar zum Ausdruck bringen.