Auch unter Aktiven

geschrieben von Axel Holz

13. Mai 2022

Rechtspopulistisches Denken macht sich in der Arbeiterbewegung breit

Die völkisch-populistische Orientierung von betrieblich aktiven, gewerkschaftlich organisierten und teilweise in Betriebsräten wirkenden Arbeiter:innen ist seit einigen Jahren auffällig. Klaus Dörre (Universität Jena) und Karina Becker (Duale Hochschule Gera-Eisenach) haben sich mit diesen Phänomenen wissenschaftlich auseinandergesetzt, unterstützt von Peter Reif-Spirek, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen. Unter den Autoren finden sich unter anderem Annelie Buntenbach zur Anziehungskraft der AfD für Arbeiter:innen und Wilhelm Heitmeyer zu autoritärem Nationalradikalismus.

Anhand einer empirischen Tiefenbohrung zeigen die Autoren auf, wie sich im Alltagsbewusstsein der Befragten Protestmotive mit einer Ethnisierung der sozialen Frage verbinden. Der völkische Populismus wird als Bewegung gekennzeichnet, die sich aus dem zeitgenössischen Postwachstumskapitalismus speist. Diesem Verhalten liegt keine kritische Gesellschaftsanalyse mehr zugrunde. Weil es den Protagonisten aussichtslos erscheint, als ungerecht empfundene Verteilungsverhältnisse grundlegend zu korrigieren, neigen Lohnabhängige spontan dazu, Auseinandersetzungen zwischen unten und oben in Konflikte zwischen innen und außen umzudefinieren. Zuwanderung, Migration, gemeinsame EU-Politik sowie kulturelle und religiöse Vielfalt werden als Gefahren empfunden und zu Feindbildern.

Rechtspopulisten erfolgreich

Becker, K. Dörre, P. Reif-Spirek (Hg.): Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte. Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 10509, Bonn 2020, 359 Seiten, 4,50 Euro

Becker, K. Dörre, P. Reif-Spirek (Hg.): Arbeiterbewegung von rechts? Ungleichheit – Verteilungskämpfe – populistische Revolte. Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 10509, Bonn 2020, 359 Seiten, 4,50 Euro

Rechtspopulistische Parteien sind bei Wähler:innen in bisher ungeahntem Ausmaße erfolgreich und stoßen besonders bei Arbeiter:innen häufig auf Zustimmung. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die bei verletztem Gerechtigkeitsempfinden ansetzen und politische Obdachlosigkeit mit fremdenfeindlichen Ressentiments verbinden. Für den Staat und seine Institutionen kommt diese Entwicklung überraschend, weil diskriminierende und demokratiefeindliche Tendenzen seit Jahrzehnten in ein künstliches Konstrukt gefährlicher Ränder in der Gesellschaft gepresst werden, das den Blick auf gesellschaftliche Veränderungen mit breiten Vorurteilspotentialen in der eigenen Analyse verstellt hat. Rechte Orientierungen sind auch im Denken gewerkschaftlich organisierter und aktiver Arbeiter:innen, bei Betriebsrät:innen und ehrenamtlichen Funktionär:innen mittlerweile weit verbreitet, heißt es in dem Buch, das 2020 von der Bundeszentrale für politische Bildung als Sonderausgabe erneut veröffentlicht wurde. Bei den Betriebsratswahlen 2018 war der erwartete Rechtsruck in den Arbeitnehmervertretungen ausgeblieben, und die IG Metall konnte hinzugewinnen. Vor allem hatten sich nur wenige Kandidat:innen gefunden, die offen rechtspopulistisch kandidieren wollten. Aber 19 Prozent der Arbeitnehmer:innen und 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten bei der Bundestagswahl der AfD ihre Stimme gegeben bei einem Gesamtergebnis von 12,3 Prozent. Bereits 2006 hatte Klaus Dörre in einer Studie rechtspopulistische Orientierungen in der Arbeiterschaft festgestellt, aber bei aktiven Gewerkschafter:innen war dergleichen damals nicht zu erkennen.

Soziale Frage wird umgedeutet

Die Soziolog:innen konnten verfestigte Deutungsmuster erkennen, durch die man zu den betreffenden Personen nicht mehr vordringen kann. Ähnliches stellen wir gerade in der Corona-Pandemie im »Querdenker«-Milieu und bei vielen Corona-Skeptikern fest. Rechtspopulisten stellen sich zunehmend als die vermeintlich wahren Demokraten dar, während in älteren Studien Parlamentarismus eher abgelehnt wurde. Allerdings heizen sie den Begriff des Volkes nationalistisch über die Zugehörigkeit zu einer Ethnie statt zum Staat auf.  Verstärkend kommt hinzu, dass der völkische »Flügel« um Björn Höcke gezielt versucht, die soziale Frage zu besetzen. Nicht förderlich war dabei auch der politische und mediale Mythos von der angeblichen Mitte, der die Mehrheit angehöre. Die gibt es soziologisch tatsächlich gar nicht, thematisieren die Autoren, weil die sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede in dieser »Mitte« vieler größer sind, als vorgespielt wird, und diese vor allem weiter zunehmen.

Gewerkschaften im Konflikt

Die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder bezieht immer noch klar gegen rechtspopulistische Positionen Stellung. Ohne eine klare Abgrenzung gegen rechts bestehen rechtsorientierte Mitglieder der Gewerkschaften möglicherweise auf politischer Neutralität, wie sie die AfD fordert. Die IG Metall hat gegen Rassist:innen in den Gewerkschaften klare Kante gefordert, was sie zahlreiche Mitglieder gekostet hat. Dennoch sollten die Gewerkschaften offen die Auseinandersetzung suchen und klarmachen, dass völkisches Denken ein Sprengsatz für gewerkschaftliche Solidarität darstellt, so Klaus Dörre. Diese Solidarität könne nur geschlechter-, ethnien- und nationenübergreifend funktionieren, meint Dörre. Dazu müssten die Gewerkschaften ihre Mitglieder in die Lage versetzen, schlagkräftig gegen rechtspopulistische Parolen zu argumentieren, um diese zu sezieren und das Demagogische offenzulegen.