Systematisch ausgeplündert

geschrieben von Henning Bleyl

29. April 2023

Bremen: »Arisierungs«-Mahnmal zum Raub an jüdischer Bevölkerung im NS-Staat

Der Fokus des Mahnmals liegt auf der besonderen Rolle Bremens als Hafen- und Logistikstandort bei der »Verwertung« jüdischen Eigentums. Diese beruht zum Teil auf der erzwungenen Massenauswanderung jüdischer Familien über Bremerhaven. Insbesondere profitierte Bremen jedoch durch den Abtransport jüdischen Besitzes aus den besetzten Ländern Westeuropas (»Aktion M«). Maßgeblich beteiligt war der Speditionskonzern Kühne + Nagel, dessen Firmenjubiläum 2015 zum Auslöser einer von der taz initiierten Mahnmaldebatte wurde.

Kühne + Nagel bemühte sich erfolgreich um eine zentrale Rolle beim Abtransport jüdischen Eigentums, sowohl im Rahmen der »Aktion M« als auch in den südeuropäischen Hafenstädten. Die Internationalisierung der Firma erfolgte somit in den Fußstapfen der Wehrmacht: Das Netz von Niederlassungen in den eroberten Ländern diente als logistische Grundlage der Beraubung, parallel entwickelte das Unternehmen das Geschäftsfeld der Militärlogistik – in dem es bis heute eine führende Rolle spielt. Mit anderen Worten: Der wirtschaftliche Erfolg von Kühne + Nagel resultiert auch aus seiner Verwicklung in die Verbrechen Nazideutschlands.

Wenig überraschend, dass von all dem bei der groß inszenierten Jubiläumsfeier der Firma 2015 auf dem Bremer Marktplatz, bei der die 125-jährige Firmengeschichte in einem History-Truck präsentiert wurde, nicht die Rede war. Doch auch auf explizite Nachfrage erklärte die Unternehmenskommunikation, den 1930er- und 1940er-Jahren mangele es »an Relevanz für die Firmengeschichte«. Eine eigene Untersuchung der Verstrickung in die Naziverbrechen liegt Mehrheits-Aktionär Klaus-Michael-Kühne entsprechend fern.

Der Fall ist ein Anachronismus – der jedoch auf ein aktuelles Problem verweist: die fehlende gesamtgesellschaftliche Befassung mit dem Thema »Arisierung« im NS. An ihr bereicherten sich, neben dem Staat und den Logistikern dieser »Verwertung«, große Teile der Bevölkerung: Der Nazistaat funktionierte auch als »Beutegemeinschaft«.

Das von Evin Oettingshausen entworfene Mahnmal besteht aus einem annähernd sechs Meter tiefen Schacht, der zunächst nichts als Leere zeigt – die scheinbare Abwesenheit von Geschichte, deren Vergessen und Verdrängen. Ganz unten ist ein seitliches Licht zu sehen. Wer daraufhin zum Weserufer hinunter steigt, erkennt an den Wänden des Schachtes schemenhafte Schattenrisse: Spuren von Möbeln, von Einrichtung, von zerstörten Leben. Die Installation thematisiert so die Totalität der Beraubung der jüdischen Bevölkerung, die dem Massenmord direkt vorausging. Ihre Wohnungen wurden komplett ausgeräumt, sämtliche Besitztümer der Deportierten unter anderem auf sogenannten Juden-Auktionen »verwertet«.

Elvira Noa, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen, war Teil der Fachjury, die den Entwurf zur Realisierung vorschlug, den Evin Oettingshausen unter dem Titel »Leerstellen und Geschichtslücken« 2016 bei einem Ideenwettbewerb der taz eingereicht hatte. Nach langen Auseinandersetzungen um den passenden Standort des Mahnmals wurde der Platz an der Kaisenbrücke in Sichtweite der K+N-Zentrale beschlossen. Noa sagt dazu: »Dieser Ort kommt dem Gedenken sehr entgegen.« Die »Einfachheit und Klarheit der Mauern« gebe Raum, das Mahnmal als Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hinzuzufügen.

Zum Bau des Mahnmals beitragen sollen laut Beschluss der Bürgerschaft alle, die sich an der Verfolgung der jüdischen Bürger*innen bereicherten. Während der Innenraum des Mahnmals als dessen künstlerisch-konzeptioneller Kern mit privaten Spenden finanziert wird, stellen die Stadt und die Wirtschaft Mittel bereit, die die Baumaßnahmen ermöglichen. Die Gesamtkosten liegen bei 476.000 Euro. Der Spendenaufruf wurde von 210 Personen unterzeichnet, die sich seit Beginn der Bemühungen um ein Mahnmal (2015) für das Projekt interessiert und engagiert haben – zahlreiche Bremer*innen ebenso wie internationale Fachleute aus den Bereichen politische Bildung, bildende Kunst und Geschichtswissenschaft. Darin zeigt sich sowohl die überörtliche fachliche Unterstützung des Anliegens, als auch der konkrete Rückhalt, den das Projekt in der Bremer Stadtgesellschaft gewonnen hat.

Evin Oettingshausen verweist auf weitere notwendige Schritte: »Der Bau des Mahnmals ist ein guter erster Schritt um auf die vielschichtigen Dimensionen von NS-Enteignungskontexten hinzuweisen. Eine multiperspektivische Ausgestaltung der erinnerungskulturellen Arbeit zu den Folgen der nationalsozialistischen Beraubung und eine weitere wissenschaftliche und inhaltliche Aufarbeitung, beispielsweise zu den Profiteur*innen, sollte meiner Meinung nach unbedingt zu den nachfolgenden Schritten gehören.«

Seit 2015 wird in Bremen über die Errichtung eines »Arisierungs«-Mahnmals diskutiert, nun auch mit einem baulichen Resultat: Ende Juni wird es fertiggestellt und am Weserufer, zwischen Wilhelm-Kaisen-Brücke und Weserarkaden, die systematische Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung thematisieren.