Antidot gegen Hetze

11. Juli 2023

Leserbrief zu »Ein Pulverfass«, antifa Mai/Juni 2023, Seite 12

Dank an Juliet Schnabel für ihre kritischen Anmerkungen zu einer leitmedialen Berichterstattung über den Massenmord an der religiösen Minderheit der Jehovas Zeugen in Hamburg, die in ihren extremsten Ausformungen tatsächlich bis zu »einer klassischen Opfer-Täter-Umkehrung« reichte, wie die Autorin anhand des Boulevardmediums Bild aufzeigt.

Als umso bedauerlicher erscheint uns daher, dass bestimmte Klischees, die mit der »Sekte« der Zeugen Jehovas verbunden sind, in einzelnen Passagen selbst dieses Artikels nicht hinterfragt bzw. sogar reproduziert werden. So wird der – richtige – Hinweis darauf, dass es sich bei dem Mörder nicht um einen gewöhnlichen Aussteiger handelte, verknüpft mit der These, seine »recht kurze Mitgliedschaft« erscheine »eher als ein Schritt innerhalb seines Radikalisierungsprozesses«. Ist die Religionsgemeinschaft, an der der Faschist seinen mörderischen Hass auslebte, also doch selbst ein bisschen faschismusaffin? Das Gegenteil ist der Fall, dies haben die Zeugen Jehovas auch und gerade unter dem Hitlerfaschismus von Beginn an in einer Geschlossenheit demonstriert, die ihresgleichen sucht. Einer Geschlossenheit, die sich aus einer prinzipiellen Unvereinbarkeit mit dem Totalitätsanspruch einer faschistischen Partei und Regierung ergab, dessen politisch-theologische Dimensionen sie kategorisch verwarfen, während allzu viele Angehörige der »säkularen« Mehrheitsgesellschaft sich ihm willfährig unterwarfen.

Jehovas Zeugen blieben standhaft, denn trotz Verfolgung und Ermordung verweigerten sie den Hitlergruß und ersetzten im Gegensatz zu führenden Repräsentanten der Großkirchen den Gott der Bibel nicht durch Hitler. Im Nationalsozialismus war der Hitlergruß überall, auf der Arbeit, in der Uni und der Schule, für alle eine tägliche Pflicht. Die Minderheit der Jehovas Zeugen aber blieb von Beginn an unbeugsam; für sie stand und steht auch heute noch fest: Rettung, also Heil, kommt nicht von Hitler, denn das Heil kommt nur vom Gott der Bibel.

In Anbetracht der Mordtat in Hamburg gilt es in antifaschistischer Perspektive, das Martyrium der Angehörigen dieser Gemeinschaft öffentlich in Erinnerung zu rufen – auch als Antidot gegen die »Sekten«hetze bestimmter großkirchlicher Institutionen, die sich ihrerseits ihrer Verantwortung für Frieden und Minderheitenschutz nicht mehr entziehen dürfen.   Danny Oestreich, Daniel L. Schikora