Die Fragen sind anschlussfähig

11. Juli 2023

Ausstellung für junge Menschen erinnert an Kinder des »Verlorenen Transports«. Gespräch mit Carolin Starke

antifa: Sie haben an der Wanderausstellung »›Wer ein Leben rettet …‹ – Lebensgeschichten von Kindern des ›Verlorenen Transports‹« mitgewirkt. Worum geht es genau in der Exposition?

Carolin Starke: Alles verbindet sich mit einem Räumungstransport kurz vor Kriegsende aus dem KZ Bergen-Belsen bei Hannover. Es gab drei dieser Transporte, allesamt Güterzüge, in denen sich sogenannte Austauschjuden befanden und die jeweils Anfang April 1945 in Bergen-Belsen starteten und Theresienstadt erreichen sollten, was aber nur einem Zug gelang. Jener Zug, der in der Ausstellung Thema ist, war rund zwei Wochen unterwegs und fuhr mit etwa 2.500 jüdischen KZ-Häftlingen quer durch das Reichsgebiet. Die Situation der Menschen war absolut schrecklich: Die meisten hatten mindestens ein Jahr die Qualen im KZ Bergen-Belsen und weiteren Haftorten ertragen müssen, waren krank, geschwächt, und sie wussten nicht, wo sie hinfahren oder wo gehalten wird, Essen und Wasser mussten sie während einiger Halte unter gefährlichen Bedingungen selbst organisieren. Über 500 Häftlinge starben insgesamt während der Fahrt und noch nach der Befreiung. Schließlich ist der Zug nahe des Dorfes Tröbitz im heutigen südbrandenburgischen Landkreis Elbe-Elster zum Stehen gekommen, weil die Brücke über die Elster durch die Hitlerjugend gesprengt worden war, um das Vorrücken der Roten Armee zu erschweren. Am Ende sind die SS-Männer abgehauen, und die Sowjets kamen am nächsten Morgen, dem 23. April 1945, und retteten die Insass:innen.

antifa: Was verbindet den »Verlorenen Transport«, außer dass er dort hielt und die Häftlinge befreit wurden, noch mit dem Bergarbeiterdorf Tröbitz?

Carolin Starke ist Gedenkstättenpädagogin. Sie hat die pädagogischen Materialien der Ausstellung konzipiert, wozu auch Material zur Vorbereitung und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs zählt. Außerdem kümmert sie sich um die Administration der Wanderausstellung.

Carolin Starke ist Gedenkstättenpädagogin. Sie hat die pädagogischen Materialien der Ausstellung konzipiert, wozu auch Material zur Vorbereitung und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs zählt. Außerdem kümmert sie sich um die Administration der Wanderausstellung.

Carolin: Die allermeisten Insass:innen waren krank und stark geschwächt, am Verhungern, also im katastrophalen gesundheitlichen Zustand und wurden dann nach Tröbitz oder in die Nachbardörfer gebracht. Durch die Sowjets wurde gegenüber den dort lebenden Deutschen angeordnet, dass sie entweder für die Überlebenden Platz machen oder für diese aus ihren Wohnungen und Häusern ziehen mussten. Dieses teils gemeinsame Leben unter einem Dach war natürlich für alle eine besondere Situation, und sowohl die Erfahrungen der Überlebenden als auch die der Tröbitzer:innen waren ganz unterschiedlich. Manche haben geholfen, einige haben sich dabei auch wegen der Seuchen angesteckt, was rund 20 nicht überlebten. Wieder andere haben versucht, die Situation eher zu ignorieren und schauten weg. Einige fanden die Lage auch überhaupt nicht gut und reagierten ablehnend. Bei den Überlebenden sind die Wahrnehmungen und Reaktionen natürlich ebenfalls sehr unterschiedlich ausgefallen, positiv wie negativ. Die meisten Überlebenden haben dann bis August 1945 in Tröbitz gelebt und sind später von den US-Amerikaner:innen nach Leipzig gebracht worden, von dort ist ein Großteil in ein Flüchtlingslager in Nijmegen in den Niederlanden gekommen. Die in der Ausstellung porträtierten Personen zogen nach Israel, in die USA, in die Niederlande und nach Deutschland.

antifa: Im Zentrum der Ausstellung stehen mehrere gerettete Kinder aus dem Zug …

Carolin: … genau, die acht, die dort Thema sind, sind alle im Alter zwischen acht und 15 Jahren befreit worden und sind bis auf Hannah Pick-Goslar auch allesamt noch am Leben. Uns interessiert, wie sie ihre persönlichen Verfolgungsgeschichten erlebt haben, aber ebenso, wie sie diese später verarbeiteten und wie sich das auf ihre Familien auswirkte. Insofern sind auch Interviews mit Nachfahren Teil der Ausstellung, und sie werden gefragt, was die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern für sie bedeutet.

antifa: Wie ist die Ausstellung aufgebaut, und an wen richtet sie sich?

Carolin: Die Ausstellung besteht aus acht Biografietafeln von geretteten Kindern und drei weitere Infotafeln. Die Tafeln sind als dreieckige Prismen gestaltet, in der Mitte gibt es ein Leuchtmittel, durch das einzelne Elemente gehighlighted werden. Die Ausstellung richtet sich vorwiegend an Jugendliche und junge Erwachsene, das zeigt sich auch in der farbintensiven Gestaltung. Abgesehen von den tiefen traumatischen Erfahrungen, die die überlebenden Kinder gemacht haben, gibt es bei Kindern und Jugendlichen heute natürlich Fragen und Themen, die anschlussfähig sind: zur Zukunft, was mache ich mit meinem Leben, wo soll es hingehen, wo will ich leben, wer bin ich und so weiter. Also klassische Fragen, die man sich als junger Mensch vielleicht stellt und die sich die überlebenden Kinder so ähnlich auch gestellt haben, trotz und wegen ihrer Erfahrungen.

Die Ausstellung »›Wer ein Leben rettet …‹ – Lebensgeschichten von Kindern des ›Verlorenen Transports‹« porträtiert die überlebenden Kinder Steven Hess und Marion Lewin, Celino Bleiweiß, Birnbaum-Kinder, Micha Gelber, Raul Teitelbaum, Hannah Pick-Goslar, Moshe Nordheim und Mirjam Lapid-Andriesse. Die Ausstellung ist noch bis Ende August in der Brikettfabrik »Louise« in Domsdorf (Landkreis Elbe-Elster) zu sehen. Ab Herbst soll sie als Wanderausstellung auf der Route des früheren Transports mehrmals Station machen. Vorwiegend sollen dabei Kleinstädte und ländlichere Gegenden erreicht werden. In Planung sind u. a. Wilsede, die Gedenkstätte Gardelegen und Lübben. Weitere Informationen zu geplanten Stationen sind auf der Website https://verlorenertransport.de zu finden.

Die Ausstellung »›Wer ein Leben rettet …‹ – Lebensgeschichten von Kindern des ›Verlorenen Transports‹« porträtiert die überlebenden Kinder Steven Hess und Marion Lewin, Celino Bleiweiß, Birnbaum-Kinder, Micha Gelber, Raul Teitelbaum, Hannah Pick-Goslar, Moshe Nordheim und Mirjam Lapid-Andriesse. Die Ausstellung ist noch bis Ende August in der Brikettfabrik »Louise« in Domsdorf (Landkreis Elbe-Elster) zu sehen. Ab Herbst soll sie als Wanderausstellung auf der Route des früheren Transports mehrmals Station machen. Vorwiegend sollen dabei Kleinstädte und ländlichere Gegenden erreicht werden. In Planung sind u. a. Wilsede, die Gedenkstätte Gardelegen und Lübben. Weitere Informationen zu geplanten Stationen sind auf der Website https://verlorenertransport.de zu finden.

Weitere Ausstellungsorte werden gesucht, bitte ggf. per Mail unter info@verlorenertransport.de melden.

Erläuterung »Austauschjuden«

Die im Zug inhaftierten Jüdinnen und Juden waren zuvor im KZ Bergen-Belsen im sogenannten Sternlager untergebracht. Es waren KZ-Häftlinge, die Pässe von sogenannten Feindesstaaten besaßen, und damit in der Regel vor der Ermordung in den Vernichtungslagern der Nazis bewahrt wurden. Sie sollten in Theresienstadt gegen deutsche Kriegsgefangene, Panzer oder anderes kriegswichtiges Material »ausgetauscht« werden. Dazu ist es allerdings nicht mehr gekommen.

Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze

Fotos: Privat/Carolin Starke