Gezielte rechte Provokation

geschrieben von Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e. V.

11. Juli 2023

Gedenken in Ravensbrück: Versuch, nationalistische Stimmung zu inszenieren

April 2023, 78. Feier anlässlich der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, Parkplatz der Mahn- und Gedenkstätte: Eine Gruppe sportlicher, schwarz gekleideter junger Männer mit NSZ-Fahnen trägt ein Transparent, auf dem neben der Aufschrift »polnischer Stolz« ein durchgestrichenes Hakenkreuz und ein durchgestrichenes Hammer-und-Sichel-Symbol zu sehen sind. Sie werden von allen Seiten fotografiert und gefilmt, unter anderem vom polnischen Staatsfernsehen TVP und einem Radiosender aus Szczecin. Sie sind umgeben von Polizisten, die sie nicht auf das Gelände lassen. Diese Szene markiert das Ende einer als gewöhnlicher Gedenkstättenbesuch in Szene gesetzten Provokation eines rechten bis extrem rechten Bündnisses.

Die NSZ (Narodowe Siły Zbrojne – Nationale Streitkräfte) war während des Zweiten Weltkrieges eine militärische Untergrundorganisation, in der sich viele Personen aus dem (extrem) rechten Lager organisierten. Sie war unter anderem verantwortlich für Morde an Jüd*innen, Ukrainer*innen und linken Pol*innen und kollaborierte partiell mit den Nazis. Die Ehrung dieser Organisation wird heute von der polnischen Regierung, aber auch der liberalen Opposition aktiv betrieben, zuletzt am 9. Mai im polnischen Parlament, wo ein Abgeordneter der extremen Rechten anerkennend bemerkte, dass die NSZ viele der im Raum anwesenden Abgeordneten erschossen hätte.

Auf der Grundlage eines historischen Gutachtens, erstellt im Auftrag der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, sind Symbole der NSZ auf dem Gelände der Gedenkstätte nicht gestattet. Als die etwa 20 Mann starke Gruppe anlässlich der Befreiungsfeier mit Fahnen und Armbinden der NSZ das Gelände betreten wollte, hinderten sie ein Mitarbeiter der Mahn- und Gedenkstätte und beherzte Antifaschist*innen daran. Polizei rückte zwar zügig an, war aber zunächst so schlecht besetzt, dass sie das Hausverbot nur mit Mühe durchsetzen konnte. Der anwesende polnische Konsul und die Leitung der Mahn- und Gedenkstätte wurden zu Verhandlungen hinzugezogen. Die Gruppe weigerte sich, Fahnen und Armbinden abzulegen. Im Ergebnis legte der Konsul den ebenfalls mit NSZ-Symbolik geschmückten Kranz der Gruppe an der Gedenktafel für die im KZ ermordeten Polinnen ab.

Provozieren nicht zum ersten Mal auf der Gedenkfeier: Junge Männer mit NSZ-Fahnen im April 2023 in Ravensbrück, Foto: LGRF e.V.

Provozieren nicht zum ersten Mal auf der Gedenkfeier: Junge Männer mit NSZ-Fahnen im April 2023 in Ravensbrück, Foto: LGRF e.V.

Zur Markierung des Ortes hatte die Gruppe in Fürstenberg und auf der Landstraße nach Ravensbrück Schilder mit der Aufschrift: »German Death Camp« aufgehängt. Diese Bezeichnung verweist auf eine Kampagne der Regierungspartei PiS. Mit dieser soll vordergründig klargestellt werden, dass die Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Polen von Deutschen installiert und geführt wurden. Im Kern geht es aber, wie das Gesetz zum »Schutz des guten Namens der polnischen Nation« zeigt, um die Manifestation eines Geschichtsbildes, das Polen ausschließlich als Opfer oder Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg setzt. Kritische Debatten und Forschung beispielsweise bezüglich der Beteiligung christlicher Pol*innen am Holocaust werden damit behindert bzw. kriminalisiert. Die Soziologin Barbara Engelking etwa sah sich aufgrund ihrer Forschung juristischen Angriffen ausgesetzt, und man drohte ihr zuletzt anlässlich eines kritischen Interviews im Kontext des Jahrestags des Aufstands im Warschauer Ghetto, die staatliche finanzielle Unterstützung ihres Instituts zu stoppen.

Die Internetpräsenz der NSZ-Aktion in Ravensbrück orchestrierte vor allem Dariusz Matecki aus Szczecin, ein Abgeordneter der rechten Partei Suwerenna Polska, Koalitionspartner der PiS. Er agiert unter anderem als landesweit bekannter, einflussreicher Internetcampaigner, der vor allem auf den Social-Media-Kanälen zweier Stiftungen aktiv ist. Zum einem beim »Zentrum zum Monitoring von Antipolonismus«: Hier werden geschichtspolitische Auseinandersetzungen für die polnische Rechte propagandistisch ausgeschlachtet und bei der Staatsanwaltschaft Anzeigen gestellt. Und zum anderen beim »Zentrum zum Monitoring von Christenfeindlichkeit ›Fidei Defensor‹«, das vom Justizministerium finanziert wird. Hier werden vor allem christlich-fundamentalistische Inhalte verbreitet und wird gegen LGBTQI-Aktivitäten gehetzt.

Die Vorfälle in Ravensbrück sind als gezielte Provokation einer extrem rechten Gruppe, der NSZ -Szczecin, eines rechten, regierungsnahen (Internet)-Campaigners sowie einzelner Protagonisten wie dem Journalisten des staatlichen Fernsehsenders TVP zu werten. Sie instrumentalisieren das Gedenken in Ravensbrück, um mit inszenierten »Skandalen« nationalistische Stimmungen zu initiieren und zu stärken. Ihre propagandistische Interpretation des Vorfalls lautete: Hier praktizieren Deutsche Antipolonismus, erst selektieren sie Polen im Zweiten Weltkrieg und jetzt beim Gedenken.

Für die Befreiungsfeier im nächsten Jahr muss man sich wohl darauf einstellen, dass die polnische extreme Rechte mit Rückendeckung der polnischen Regierung darauf dringt, dass Abzeichen von faschistischen, antisemitischen Organisationen wie der NSZ gezeigt werden dürfen und es Versuche geben könnte, dies praktisch durchzusetzen. Das sollten wir als Antifaschist*innen verhindern.

Die Website der Lagergemeinschaft: lg-ravensbrueck.vvn-bda.de