Keine Überlebenschance

geschrieben von Janka Kluge

11. Juli 2023

Zu Unrecht fast vergessen: Die Aufstände von Jüdinnen und Juden in Treblinka und Sobibor vor 80 Jahren

Wenn von der Shoah die Rede ist, verbindet sich das in der Regel mit den Verbrechen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Doch der Plan zur Vernichtung der Jüdinnen und Juden beschränkte sich nicht auf Auschwitz. Die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka gehörten ebenso zu bestialischen Bestandteilen des Massenverbrechenskomplexes der Nazis.

Im Oktober 1941 hatte Heinrich Himmler dem Polizei- und SS-Führer von Lublin, Odilo Globocnik, den Auftrag gegeben, alle jüdischen Menschen aus dem Generalgouvernement zu ermorden. Himmler hatte dabei »radikale Maßnahmen« gefordert. Die drei Lager befanden sich in abgeschiedenen Gegenden, die aber allesamt über einen Anschluss an das Schienennetz verfügten. In den eineinhalb Jahren zwischen März 1942 und Oktober 1943 wurden in den drei Vernichtungslagern mehr als 1,8 Millionen jüdischer Menschen ermordet. Die Vernichtungslager wurden von der Naziverwaltung mit der Bezeichnung »Reinhardt-Lager« zusammengefasst, nachdem Reinhard Heydrich im Mai 1942 bei einem Attentat in Prag 1942 ums Leben gekommen war. Als erstes wurde Belzec ausgesucht. Hier existierte zwischen Mai und Oktober 1940 bereits ein Zwangsarbeiterlager. Dadurch befand sich bereits ein Gleis mit einer Rampe vor Ort. Die beiden anderen Vernichtungsorte wurden kurz danach errichtet. In Sobibor begannen die Morde im Mai, in Treblinka im Juni 1942.

Immer wieder gelang es jüdischen Menschen, aus den Transporten in die Vernichtungslager zu fliehen. Nach Belzec wurden mehr als 450.000 jüdische Menschen aus den Distrikten Lublin, Galizien und Krakau gebracht, nach Sobibor weitere 250.000 Jüdinnen und Juden aus Lublin und Galizien. Einzelne Transporte aus den von den Nazis besetzten Ländern endeten ebenfalls in Sobibor. Nach Treblinka wurden 800.000 Jüdinnen und Juden aus den  Ghettos in Warschau und in Radom deportiert.

In allen drei Lagern zusammen haben nicht einmal 300 Menschen überlebt. Die Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto sind auch nach Treblinka gebracht worden. Um den täglichen Massenmord zu organisieren, wurden tausende Jüdinnen und Juden eingesetzt. Sie merkten Anfang 1943, dass weniger Deportationszüge die Menschen in das Lager brachten und schlossen daraus, dass sie auch bald ermordet werden sollen. Für den März war ein Massenausbruch geplant, der dann aber nicht umgesetzt werden konnte. Die SS fand bei einer Durchsuchung beim Anführer des Widerstands, Dr. Julian Chorążycki, eine größere Bargeldsumme, die zur Seite gelegt worden war. Er entzog sich den Verhören der SS durch Suizid mit Gift. Damit war der Fluchtplan erst einmal gescheitert. Trotzdem wurden die Pläne für einen Aufstand weiter verfolgt.

Der Historiker Stephan Lehnstaedt schrieb in seinem Buch »Der Kern des Holocausts« über die Aufstände von Treblinka und Sobibor, dass es keine Überlebenschance gab. »Deshalb schlossen sich Juden in Treblinka und Sobibór zusammen und leisteten Widerstand. In Treblinka kam es am 2. August 1943 noch eher zufällig und wenig organisiert zum Aufstand. In Sobibór, am 14. Oktober 1943, brach die Rebellion mit fast militärischer Präzision und Planung los.« (S. 11)

Chil Rajchman (1914-2004) war ein jüdischer Überlebender von Treblinka, der am Aufstand beteiligt war.

Chil Rajchman (1914-2004) war ein jüdischer Überlebender von Treblinka, der am Aufstand beteiligt war.

Chil Rajchman war an den Planungen beteiligt. Neben der Beschaffung von Waffen war ein großes Problem die Absprache unter den Aufständischen. Treblinka bestand aus zwei Lagerkomplexen, die voneinander getrennt waren. Rajchman erinnerte sich später: »Vom Lager Nr. 1 her hören wir Schüsse, das Signal für den Beginn des Aufstands. Nach ein paar Minuten bekommen wir den Befehl, die Arbeit liegen zu lassen. Jeder läuft zu seinem verabredeten Posten. Kurz darauf schlagen hohe Flammen aus den Gaskammern, sie sind angezündet worden. (…) Aus allen Richtungen sind Schüsse zu hören. Die Ukrainer, die unsere Kameraden von ihren Wachtürmen heruntergelockt haben, liegen tot auf der Erde. Die zwei SS-Männer, die Baggerführer sind getötet worden. Wir laufen von Zaun zu Zaun und rufen ›Revolution! Revolution!‹ Ein paar Ukrainer werfen die Arme hoch. Wir nehmen ihnen die Waffen ab. Wir sind schon am dritten Zaun. Wir durchtrennen die Stacheldrahtzäune, einen nach dem anderen«. (Lehnstaedt S. 111) Der Historiker Lehnstaedt bewertet die Schilderung von Rajchman als zu optimistisch. Er führt dazu aus, dass kein SS-Mann getötet wurde, und zwar die Verwaltungsbaracken zerstört werden konnten, aber die Gaskammern weitgehend in Takt geblieben sind, so dass bereits zwei Wochen später wieder Deportationszüge nach Treblinka gekommen sind und die Vernichtung weiter ging.

In Sobibor war Leon Feldhendler die treibende Kraft bei der Planung des Aufstands. Klar war, alle 500 Menschen aus dem Arbeitslager sollten gerettet werden. Für den 14. Oktober 1943 war der Aufstand geplant. Damit möglichst alle durch das Haupttor flüchten können, wurde vom Kapo früher zum Appell gerufen. Fast ohne Waffen stürmten sie daraufhin das Tor. Es gelang ihnen, die Wachposten zu durchbrechen. 380 Häftlinge konnten entkommen. Leider wurden fast alle von der SS entdeckt und erschossen. Die Aufstände von Treblinka und Sobibor sind zu Unrecht fast vergessen.