Verheerende Folgen

geschrieben von Ulrich Schneider

11. Juli 2023

Der Vormarsch der extremen Rechten in Europa bei den zurückliegenden Urnengängen

Parlamentswahlen sind Indikatoren für gesellschaftliche Einflussverhältnisse, selbst wenn sie manchmal kurzfristig von äußeren Faktoren beeinflusst werden, und Ausdruck der Machtverteilung zwischen den politischen Eliten. In diesem Sinne ändern die jeweiligen Wahlprozente wenig an den tatsächlichen Machtverhältnissen, sie sagen vielmehr etwas über die Integration der Bevölkerung in das jeweilige politische System. Diese Grunderkenntnis bestätigte sich auch bei den letzten politischen Wahlen in verschiedenen Ländern Europas. Dabei ist es auffällig, mit welcher Aufmerksamkeit die jeweiligen Wahlen durch viele bundesdeutsche Medien verfolgt wurden, zeigt es doch, welche politischen Interessen durch diese Wahlen berührt sind.

Signifikant war das mediale Interesse an der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei. Vorgeblich begründet mit der großen Zahl türkisch-stämmiger Familien in Deutschland, ging es um die Alternative zwischen Recep Tayyip Erdogan und einem gemeinsamen Kandidaten der Oppositionsparteien, Kemal Kilicdaroglu. Die bundesdeutschen Medien stilisierten diesen Wahlkampf als Kampf zwischen einem Putin-hörigen Autokraten und einem EU-orientierten Demokraten, dem natürlich die volle Sympathie vieler Medien gehörte. Dass sich Kilicdaroglu im Wahlkampf ebenfalls als Nationalist zeigte, der am liebsten die – mit Geldern der EU in der Türkei aufgehaltenen Flüchtlinge – abschieben würde, wurde als »Wahlkampfmanöver« entschuldigt. Dass die kurdische Bevölkerungsgruppe von diesem Kandidaten ebenfalls nichts zu erwarten hatte, störte viele Medien nicht. So war es auch nur ein Randthema in vielen Medien, dass die kurdischen Parteien im Wahlkampf illegalisiert und ausgegrenzt wurden. Als sich im zweiten Wahlgang schon früh abzeichnete, dass Erdogan gewinnen würde, kritisierte man zwar, dass seine Anhänger schon feierten, obwohl das Ergebnis noch nicht feststand, aber Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte wenig später mit den Worten: »Deutschland und die Türkei sind enge Partner und Alliierte – auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sind wir stark miteinander verbunden«. Solange Erdogan im Sinne bundesdeutscher Außenpolitik seine Funktion erfüllt, ist man gerne bereit, seine reaktionäre und autoritäre Innenpolitik zu tolerieren, für die türkischen Familien in Deutschland gibt es ebenfalls keine Verbesserungen.

Im Sinne des EU-Konzeptes liefen auch die griechischen Parlamentswahlen im Mai 2023. Obwohl es in dem Land seit vielen Monaten Proteste gegen die Regierung der Nea Dimokratia unter Kyriakos Mitsotakis gibt, sogar Massendemonstrationen gegen die verheerenden Folgen der Kürzungspolitik im Bereich der Staatsbahn stattfanden, konnte diese Regierung im ersten Wahlgang einen nicht erwarteten Erfolg erzielen, den sie im zweiten Wahlgang im Juni mittels des griechischen Wahlrechts zu einer überwältigenden Regierungsmehrheit erweitern konnte. Der massive Einbruch der Syriza-Partei und ihrer Vorzeigefigur Alexis Tsipras zeigt deutlich, dass deren Versprechungen, die jedoch von faulen Kompromissen im Parlament begleitet waren, immer weniger Menschen ansprechen und an die Wahlurnen bringen konnten. Hinzukam, dass zwei Abspaltungen dieser Partei, die nicht das notwendige Quorum erreichten, und Stimmengewinne der Kommunisten sowie rechter Sozialdemokraten die Zersplitterung des Protestpotentials beförderten. Zudem nahm die Wahlbeteiligung erneut ab. Viele Griechen sehen sich im parlamentarischen System nicht mehr repräsentiert, was vor allem zu Lasten der linken Kräfte ging. Dass im Windschatten des rechten Wahlerfolgs eine offen faschistische Partei ebenfalls wieder den Sprung ins Parlament geschafft hat, zeigt, dass überzeugte Rechtswähler nach der Sanktionierung der »Goldenen Morgenröte« sich eine neue Plattform gesucht haben.

Nur am Rande haben bundesdeutsche Medien zwei Wahlen registriert, die gleichermaßen eine sehr problematische Entwicklung in Südeuropa zeigen, nämlich die Kommunal- und Regionalwahlen in Italien und Spanien.

Die Kommunalwahlen in Italien hätten eine politische Antwort auf die Etablierung der neofaschistischen Regierung unter Giorgia Meloni sein können, wenn sich die antifaschistisch orientierten Parteien und Kräfte geeinigt hätten und mit gemeinsamen Kandidat*innen angetreten wären. Stattdessen dominierte unter den linken und demokratischen Parteien weiterhin Konkurrenz. Da man sich selbst in der Stichwahl nur vereinzelt auf gemeinsames Antreten verständigen konnte, wurden diese Wahlen für Antifaschisten ein politisches Desaster – schlimmer noch, eine Bestätigung der Rechtsregierung in Rom.

Auch in Spanien gelang es der extremen Rechten, dem Partido Popular (PP) und der offen faschistischen Vox, in fast allen Regionen Spaniens, ihren Einfluss deutlich auszubauen. Selbst in Regionen mit linken Regionalparteien konnten sie zulegen. Sie gerieren sich – scheinbar medial erfolgreich – als »Protestpartei« gegen die spanische Zentralregierung, die aktuell von inneren Konflikten geprägt ist. Ob der Schritt des sozialdemokratischen Regierungschefs Pedro Sánchez, Neuwahlen für den 23. Juli 2023 anzusetzen, Erfolg gegen die extreme Rechte bringen wird, ist mehr als fraglich.