Zweierlei Maß

14. September 2023

Hubert Aiwanger aus Bayern wegen eines Naziflugblatts unter Druck

Kurz vor der Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über ein widerliches, den deutschen Faschismus und die Schoah verherrlichendes Flugblatt. Dieses war im Jahr 1987 dem heutigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) abgenommen worden. Davor waren Exemplare des Flugblatts auf der Toilette der Schule gefunden worden.

Darin werden unter der Überschrift »Wer ist der größte Landesverräter?« verschiedene »Preise« genannt. Die »Gewinner« sollen beispielsweise einen »Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz« erhalten. Auschwitz wird zynischerweise auch als »Freizeitpark« bezeichnet. Außerdem werden Mord durch »Genickschuß«, ein »lebenslanger Aufenthalt in einem Massengrab« sowie eine Nacht im Gestapokeller und die anschließende Unterbringung im KZ Dachau angedroht.

Aiwanger hat bestritten, das bei ihm gefundene Flugblatt selbst geschrieben zu haben. Kurz nachdem der Vorfall bekanntgeworden ist, bekannte sein älterer Bruder, das Flugblatt verfasst zu haben. Erinnerungen von Mitschülern haben ergeben, dass die Brüder Aiwanger damals stramm rechts waren. So soll Hubert Aiwanger mehrmals den Hitlergruß vor dem Unterricht vor versammelter Klasse gezeigt haben. Er selbst sagt heute, dass er sich daran nicht mehr erinnern könne. Ausschließen kann er es allerdings nicht. Die Mitschüler berichten auch, dass er stolz davon erzählt habe, Hitlers »Mein Kampf« gelesen zu haben. Zudem habe er vor dem Spiegel Hitler-Reden eingeübt. Hubert Aiwanger musste als Strafe für das Flugblatt einen Schulaufsatz über die Nazizeit schreiben.

Das Flugblatt befindet sich seit Jahren in der Gedenkstätte Dachau als Beispiel für antisemitische Hetze nach 1945. Jetzt kann an dem Flugblatt und der Geschichte auch gezeigt werden, wie Aufarbeitung nicht funktioniert. Erst als der Druck auf Hubert Aiwanger so groß wurde, dass er nicht mehr anders konnte, hat er sich bei den Überlebenden des NS-Vernichtungsapparats entschuldigt.

Das Flugblatt befindet sich seit Jahren in der Gedenkstätte Dachau als Beispiel für antisemitische Hetze nach 1945. Jetzt kann an dem Flugblatt und der Geschichte auch gezeigt werden, wie Aufarbeitung nicht funktioniert. Erst als der Druck auf Hubert Aiwanger so groß wurde, dass er nicht mehr anders konnte, hat er sich bei den Überlebenden des NS-Vernichtungsapparats entschuldigt.

Einige Jahre zuvor war an einem anderen Gymnasium in Bayern eine junge Frau von der Schule geworfen worden, weil sie sich geweigert hatte, einen »Stoppt Strauß«-Button abzunehmen. 1980 war der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß der gemeinsame Kanzlerkandidat von CDU/CSU zur Bundestagswahl. Der Schülerin hing im Gegensatz zu Aiwanger die Geschichte noch lange nach. Nach einem Verfahren musste sie auf eine andere Schule wechseln, sie machte Abitur und studierte Jura. Während nach dem Abschluss ihre Kommiliton:innen schnell Zulassungen als Anwält:innen bekamen, zögerte sich ihre Zulassung immer wieder hinaus. Neben dem Button wurde ihr vorgeworfen, presserechtlich für ein Flugblatt gegen Strauß verantwortlich gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelte sogar wegen Beleidigung gegen sie, ein Verfahren wurde allerdings nie eröffnet. Trotzdem galt sie für das Justizministerium als »berufsunwürdig«, auf ihre Zulassung als Anwältin sollte sie noch einige Zeit warten müssen.

Anders bei Aiwanger. Er studierte mit Stipendium der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung Agrarwissenschaften, 2002 schloss er sich den Freien Wählern an, deren Vorsitzender er 2006 wurde. Danach ging es politisch steil bergauf, bis zum stellvertretenden Ministerpräsidenten. Immer wieder macht er mit Reden Schlagzeilen, die eher bei der AfD anzusiedeln wären. Im Juni sagte er bei einer Veranstaltung, dass die »schweigende Mehrheit in Deutschland sich wieder die Demokratie zurückholen muss«. Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe erklärte Ministerpräsident Markus Söder, er halte an Aiwanger fest.