Die internationalen Kämpfer
14. Januar 2017
Eine Episode aus dem Spanischen Bürgerkrieg
Vor mir liegt eine bibliophile Kostbarkeit: Die Originalausgabe des Buches »Tschapaiew – Das Bataillon der 21 Nationen« – Dargestellt in Aufzeichnungen seiner Mitkämpfer – Redigiert von Alfred Kantorowicz – Informationsoffizier des Bataillons – 1938 – Imprenta Colectiva Torrent Madrid Espana.
Es wurde mir feierlich von dem Wuppertaler Spanienkämpfer, Otto Gilde, kurz vor dessen Tod, am 27. Juni 1972, überreicht. Er ist in dem Buch mit dem Beitrag »Sieben Sturmangriffe in sechs Tagen« und mit einem Foto als »Motozyklisst« vertreten.
Ich blättere in dem Buch und erfahre, dass die Auflage des Buches 3000 Exemplare betrug und dass Beiträge von 78 Kameraden aus 13 Nationen darin zusammengefasst sind, die fast alle der Bataillons-Zeitung entnommen wurden. 67 Nummern der Zeitung seien erschienen. Ihr Titel »Der kämpfende Antifaschist«. Sie wurde oft unter den schwierigsten Umständen hergestellt, auf Wachsplatten geschrieben, aber sie erschien regelmäßig. »Sie war ein Herzstück des Lebens unseres Bataillons.«, schreibt Kantorowicz.
Die XIII. Internationale Brigade und ihr Bataillon »Tschapaiew«
Was erfahren wir in dem Buch über die XIII. IB und ihr Bataillon »Tschapaiew«? Die erste Formierung der XIII. Internationalen Brigade erfolgte am 11. November 1936 in Albacete. Sie kämpfte seit ihrer Gründung, gesondert von anderen Internationalen Brigaden, an entlegenen Fronten. Alle anderen IB hatten bis zum August 1937 die Aufgabe, Madrid mitverteidigen zu helfen. Der XIII. aber war als Aufgabe der offensive Kampf an mehreren wichtigen Fronten gestellt: vor Teruel, bei Málaga, in den Bergen der Sierra Nevada, an der Granada-Front, vor Pozoblanco, bis sie, vereint mit den anderen IB bei der Juli-Offensive 1937 vor Brunete kämpfte. Dort erlebt sie nach einiger Zeit in Reservestellung am 4. August 1937 ihre Auflösung. Die wenigen kampffähigen Soldaten der XIII. IB wurden in ihre jeweiligen nationalen Einheiten eingegliedert. Die Deutschen wurden offiziell am 30. August der XI. IB zugeteilt.
Auf der am 29. August 1937 abgehaltenen Sitzung der »Kulturarbeiter« der XI. IB führte Franz Dahlem in ihren Kreis neu ein: Hans Schaul, Hanns Maaßen und den Grafiker Hans Quäck. Auch Willi Bredel und Erich Weinert, die ihre Rückfahrkarten vom Kongress verfallen gelassen hatten, blieben fortan in Spanien in der XI. IB.
Es gilt, auf eine weitere Besonderheit hinzuweisen. Die andern Brigaden waren, von den ersten Monaten des Einsatzes abgesehen, im Wesentlichen ausgerichtet auf zwei oder drei vorherrschende Nationalitäten. Die XIII. IB aber umfasste dagegen von Beginn bis zu ihrer Auflösung wohl alles in allem 25 Nationalitäten. Das internationalste Bataillon des ganzen spanischen Volksheeres war zweifellos das »Tschapaiew«-Bataillon, das zeitweilig über zwanzig Nationalitäten in sich vereinigte.
Alfred Kantorowicz und Hans Schaul
Die Geschichte des Sturmbataillons »Tschapaiew« ist untrennbar verbunden mit den beiden deutschen Antifaschisten Hans Schaul und Alfred Kantorowicz. Das Schicksal führte diese beiden, die sich bereits flüchtig aus der Zeit vor 1933 in Berlin kannten, im Mai 1937 in der XIII. IB, die Kantorowicz auch als die »vergessene Brigade« bezeichnete und besonders in ihrem Bataillon »Tschapaiew« wieder zusammen.
Kantorowicz entschließt sich im Dezember 1936 aus seinem Pariser Exil nach Spanien zu gehen. Über Barcelona und Valencia erreicht er am 17. Dezember Madrid und beginnt sofort damit, seine Erlebnisse, Begegnungen, Eindrücke und Reflexionen zu notieren, die er später in seinem »Madrider Tagebuch« zusammenfasst. Die erste Aufzeichnung im »Spanischen Tagebuch« trägt das Datum: »Madrid, den 20. Dezember 1936«
Am 10. Januar 1937 erreicht ihn der Befehl Luigi Longos, nach Valencia zu gehen um dort eine mehrsprachige zentrale Frontzeitung für die Internationalen Brigaden ins Leben zu rufen und zu redigieren. Es entstehen in knapp drei Monaten 25 deutsche und 13 französische Ausgaben des »Volontaire de la liberté«.
Er wird danach an die XIII. Internationale Brigade, mit der vage umrissenen Aufgabe »abkommandiert« , die Taten der »vergessenen Brigade« bekanntzumachen. Am 14. Mai 37 trifft er an der »Estremadura-Front« im »Brigadestab der XIII. Brigade« ein.
Am 16. Mai kommt es zu einer ersten Begegnung mit Hans Schaul. Kantorowicz besucht an diesem Tag den »Stab des »Tschapaiew«-Bataillons« und notiert: »Gleich darauf trat ein kleiner, schmächtiger Kamerad ins Zimmer, barhäuptig, und wie ich nur seine lange schwarze Mähne sehe, die ihm bis in den Nacken fällt, rufe ich schon erfreut: ‚Hans, alter Junge!’ und umarme ihn. Er lacht sein lautloses Lachen, das ihn charakterisiert und das ich gern mag. ‚Du bist uns schon seit zwei Wochen angekündigt, Kanto.’ ‚Ihr kennt euch?’ fragt der Otto Brunner. ‚Schon lange’, sage ich fröhlich, ‚schon aus einer früheren Welt; da war der Schaul noch Staatsanwalt.’ ‚Und du noch Ullstein-Korrespondent’, antwortet er. ‚Nun ja’, sage ich, ‚lassen wir unsere alten Sünden ruhn.«
Kantorowicz fasst seine Eindrücke so zusammen: »Es erscheint kaum glaublich, dass der zarte, versonnene Mann die Strapazen, die von den Kämpfern dieses Bataillons ertragen werden mussten, durchgestanden hat. Seine von Natur schwermütigen dunklen Augen haben ihren Glanz zurückgewonnen, ich höre ihn mehrmals herzlich in seiner lautlosen Weise lachen in dieser kurzen halben Stunde, die wir heut zusammen gewesen sind. Er hat das niederdrückende Elend der Emigration abgeschüttelt. Ich bemerke, dass die Kameraden ihm, der als Soldat und Redakteur der Bataillonszeitung alle Kampagnen der Brigade von Beginn an mitgemacht hat, mit offenherziger Achtung entgegenkommen; man sieht ihm wohl an, dass sein Selbstbewusstsein gewachsen ist und dass er sich geborgen fühlt inmitten dieser kräftigen, arglosen Kameraderie.«
Die Entstehungsgeschichte des Buches
Am 19. Mai sitzt Alfred Kantorowicz in seinem Auto als jemand an die Scheibe klopft: »Ich erkannte die schwarze Mähne von Hans Schaul. Er ist gekommen, um mich zu Beiträgen für die von ihm redigierte Bataillonszeitung aufzufordern. Was er mir von dieser Zeitung erzählt, hat mir Lust gemacht, an ihr mitzuarbeiten – trotz meiner nun verständlichen Abneigung, den Krieg durch das Mittel der Zeitungsarbeit zu führen.«
Am 24. Mai 1937 wird er Zeuge einer heftigen Diskussion an der auch Hans Schaul beteiligt ist und die Kantorowicz als »Entstehungsgeschichte des ‚Tschapaiew’-Buches« bezeichet. Er notiert: »Es stellte sich heraus, dass Schaul den intelligenten helläugigen Wolfgang aufgefordert hatte, einen Artikel für die Bataillonszeitung zu schreiben, was der trotzig ablehnte. Schaul rief mich zu Hilfe. Ich erkannte den tieferen Grund der Unzufriedenheit und schlussfolgerte:
Wolfgang, Ende Juni ist ein halbes Jahr vergangen seit dem ersten Einsatz der Dreizehnten bei Teruel, Du warst von Anfang an dabei, Schaul auch. Wenn ihr helft, bringen wir bis Ende Juni oder Anfang Juli eine gute Broschüre über die Kämpfe der Dreizehnten zustande. Hans Schaul stimmte freudig zu… Wir sind schon mitten drin…Das wird eine Kollektivarbeit werden…Alle Nationalitäten müssen beteiligt werden…Irgendwo am Ende (der hitzigen und kreativen Diskussion) sehe ich ein Buch – in einer halbstündigen Diskussion ist der Broschürenplan schon zum Buchplan erweitert worden – das Zeugnis ablegt für den besten Geist der internationalen Freiwilligen durch den Bericht der internationalen selbst. Einundzwanzig Nationen umfasst das Bataillon ‚Tschapaiew«. Seine Heldengeschichte würde den Titel tragen: »Tschapaiew’ – das Bataillon der einundzwanzig Nationen!
Am 16. Juni schildert Kantorowicz im »Spanischen Tagebuch« die Episode mit den übergelaufenen vier spanischen Jungen, die Hans Schaul fotografiert hat und die Kantorowicz auch ins »Tschapaiew«-Buch übernahm, die dann zu dem Kinder- und Jugendbuch von Ruth Rewald führte.
Am 20. Juni 1937 kann er seinem Tagebuch endlich anvertrauen« »Im Brigadebefehl von heute heißt es: ‚Der Teniente Alfred Kantorowicz, bisher im Brigadestab, wird als Nachrichtenoffizier zum 49. Bataillon (»Tschapaiew«) versetzt’.«
Am 24. Juni 1937 bekommen sie nach einem Besuch von Kisch und Kuttner Besuch vom Film- und Fotoreporter Capa und seiner Partnerin, der Journalistin Gerda Taro. »Schaul kam aus Valsequillo, wohin das Gerücht vom Eintreffen der Filmleute bereits gedrungen war, herbeigeeilt…Er witterte guten Stoff für eine Bataillonszeitung.«
Am 28. Juni 1937 jubelt er: »Endlich, endlich, endlich. Die Dreizehnte wird abgelöst.« Als sie mit dem Transport-Zug auf einem Bahnhof halten notiert er: »Schaul kam den Zug entlanggelaufen; er war mit seinem Zeitungsarchiv beim Brigadekommissariat verstaut worden und ebenfalls einen Tag vor uns gefahren.«
Die Rettung des Archivs war ein Glücksfall von unschätzbarem Wert, denn es wurde zur wichtigsten Quelle bei der Zusammenstellung des geplanten Buchs.