Editorial
13. März 2025
Mit Einschätzungen à la »nochmal gutgegangen« oder »noch ein Glück« heißt es vorsichtig umzugehen. Sie bedeuten meist ein geringeres Übel – in jedem Fall etwas Schlechtes. So auch die Ergebnisse der Bundestagswahl. Wenn die Fallhöhe eine AfD in der Regierung ist, dann ist es leicht, aufzuatmen. Doch sich in unerträglichen Zuständen einzurichten, weil mörderische zunächst ausbleiben, ist kein guter Ratschlag. Bevor wir also fragen, was tun, müssen wir verstehen, was ist. Der Wahlkampf war geprägt vom alten Spiel des Erschreckens und Erregens, um von der Lösung der Vielfachkrisen abzulenken. Mörderische Taten durch »Nichtdeutsche« wurden genutzt, um Migration als Ganzes zum Problem zu machen. Auf Kriegsleid und Zerstörung folgte der Ruf nach mehr Militarisierung.
Festzustellen ist eine erschreckende Vereinheitlichung der Lösungsvorschläge bei den koalitionsfähigen Parteien der »demokratischen Mitte«, auch wenn in der Arena für das Publikum die Hemdärmel hochgekrempelt wurden. Das Grundrechtekomitee hat analysiert, was wir in der kommenden Legislatur erleben werden: Ausbau staatlicher Überwachung (biometrische Kamera-überwachung, Vorratsdatenspeicherung), eine Beschränkung staatlicher Versorgungsleistungen (Bürgergeldreform), eine Verschärfung der Asyl- und Grenzpolitik (u.a. Internierung an EU-Außengrenzen, mehr Lager- und Gefängnisunterbringung für Schutzsuchende, mehr Abschiebungen) sowie Mehrausgaben fürs Militär (radikale Aufrüstung, Waffenlieferungen, Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie). Die Wehrpflicht für alle Geschlechter wird ebenso kommen, wie das Aussetzen der Schuldenbremse. Wer bei der Diskussion genauer hinhörte, hat gemerkt, dass die Aufhebung immer mit Dringlichkeiten des Wehretats legitimiert wurden – also eine Art Kriegskeynesianismus, kreditfinanzierter Krieg zur Ankurbelung der Wirtschaft. Das hat nicht nur was mit der Ukraine zu tun. Tatsächlich konnten EU-Großmachtambitionen auf internationaler Bühne bisher nur im Windschatten der USA gedeihen. Da dies mit Trump als US-Präsident schwieriger werden dürfte, werden wir eine neue Form der EU-Einigkeit zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen erleben.
So betrachtet entpuppt sich das Ergebnis der Bundestagswahl nicht als kleineres Übel, sondern als zweitgrößtes Unglück.