Projekt »Europaskepsis«
13. November 2014
Wie in der EU das Reformprojekt einer »partiellen Integration« wirksam wird
Bei all den programmatischen Widersprüchen und den populistischen Wahlkämpfen der Alternative für Deutschland (AfD), fällt es schwer, das Programm dieser neuen Partei zu charakterisieren. Wer verstehen will, was die AfD letztlich will, sollte deren Traditionslinien in der organisierten Zivilgesellschaft (Interessengruppen, Vereine, private Institute, Kampagnenmacher usw.) anschauen und die Berührungspunkte im europäischen Kontext analysieren. Denn die AfD wurde nicht aus dem Stand Anfang 2013 von ein paar frustrierten CDUlern und besserwisserischen Professoren gegründet – sie ist vielmehr als Element eines rechtsliberalen Reformprojekts zu verstehen, das sich seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich, durch immer ähnliche Akteure, auf europäischer Ebene Geltung verschafft.
Ziel ist die Begrenzung der politischen und sozialen Integration Europas (insbesondere der Sozialpolitik), bei gleichzeitigem Abbau von Beschränkungen im Handel und Kapitalverkehr. Dieser Wunsch nach partieller europäischer Integration geht einher mit dem Kampf um konservative Werte, um traditionelle Familienmodelle und ein Zurückdrehen des Minderheitenschutzes und individueller Freiheit.
Die AfD-Gründung stellt wahrlich nicht den Beginn solcher Reformbemühungen in Deutschland dar, aber zumindest einen qualitativen Sprung, indem die parlamentarische Repräsentationslücke für diese europaskeptischen und konservativen Meinungsbilder, die offensichtlich in CDU/CSU und in Teilen der FDP nicht mehr durchsetzbar waren, geschlossen wird. Gleichwohl der Europaskeptizismus parteipolitisch vor der AfD kein kanalisiertes Angebot hatte (die EU ist schließlich das Jahrhundert-Projekt der CDU), gab es dieses Angebot außerhalb der Parlamente durch Denkfabriken, kleinere und größere akademische, publizistische und kampagnenfähige Netzwerke, die sich auch international in rechtsliberalen Diskurs-Koalitionen wiederfinden und sich gegenseitig verstärken. Aus diesen Netzwerken heraus wurde die AfD entwickelt.
Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten
Die AfD ist im Europaparlament mittlerweile Mitglied der Fraktion »Europäische Konservative und Reformisten (EKR)«. Diese Fraktion geht zurück auf die 2009 von den britischen Torries (die Partei des Premiers Cameron) gegründeten Europa-Partei »Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten« (AECR). Sie stellte erstmalig eine ernstzunehmende parlamentarische Desintegrationsperspektive auf europäischer Ebene dar. Ohne diese diskursive Öffnung der Europapolitik hätte es die Ablehnungen zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden nicht geben können.
Diese AECR als Anti-Europa-Partei auf europäischem Parkett wurde von Tories zusammen mit anderen rechts-konservativen Parteien gegründet, weil diese sich in der »Europäischen Volkspartei (EVP)« nicht mehr wirkungsmächtig genug wiederfanden. Mit dabei war v.a. Polens »Recht und Gerechtigkeit«, die »Demokratische Bürgerpartei« von Václav Klaus aus Tschechien und ähnliche, aber eher kleinere Parteien aus Belgien, Litauen und Luxemburg. Mittlerweile sind 13 der 27 EU-Mitgliedsstaaten durch kleinere und größere Parteien in der AECR vertreten. Die Partei bildet im wesentlichen die neue Fraktion der »Europäische Konservativen und Reformisten« (EKR), wo mit z.B. der AfD auch nicht AECR-Mitglieder mitmischen dürfen. Mit 70 Abgeordneten sind aus 15 Mitgliedsstaaten Abgeordnete in der EKR-Fraktion vertreten. Die EKR betreibt im EU-Parlament keine fundamentale EU-Kritik sondern stellt vielmehr einen Mehrheitsbeschaffer für konservative Politik dar, die mit Merkels Europäischer Volkspartei (EVP) gegen die Sozialisten im Europaparlament durchgesetzt werden soll.
Bindeglied dieser neuen konservativen Fraktion ist das »Prager Manifest der radikalen Reformer« von 2009, eine Kombination von marktradikalen und konservativen Werten, die in zehn Punkten aufzählt, was wir von der AfD auch zur Genüge kennen: nationaler Wohlstand, individuelle (Markt-)Freiheit, Familienpolitik, Energiesicherheit, Souveränität statt EU-Föderalismus, Migrationskontrolle, Bürokratieabbau usw. Die AECR und deren Fraktion im EU-Parlament streben eine Rückabwicklung des bisherigen Verlaufs europäischer Integration an, die u.a. die Regional-, Sozial- und Umweltpolitik sowie die Freizügigkeit wieder einschränken soll. Gänzlich unberührt bleiben ihnen wichtige Elemente der Wirtschaftspolitik. Im Gegensatz zur nationalistischen Rechten betreiben sie damit eine partielle Desintegrationsstrategie zur Re-Nationalisierung gesellschaftspolitischer Belange. Das ist auch das Programm der AfD, die deshalb folgerichtig Teil dieser Fraktion ist. Doch es gibt noch mehr Verbindungen.
Das Netzwerk der New Direction Foundation
Camerons Europa-Partei AECR hat 2010 die Parteistiftung New Direction Foundation (NDF) gegründet. Diese tritt radikaler auf als die AECR, und fordert beispielsweise die Halbierung des EU-Haushalts und die Auflösung des Euro-Raumes, begleitet aber gleichzeitig die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA. Diese Stiftung unterhält seit ihrer Gründung Partnerorganisationen in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten, die dort als Brückenköpfe dienen, auch und gerade, wenn es keine parlamentarische Kraft gibt, die der neuen konservativen Europa-Partei angehört. Es geht dabei um die Verankerung der rechtsliberalen Europakritik in den neoliberalen Think Tanks der Nationalstaaten – und letztlich um die verbindliche europäische Vernetzung all dieser Organisationen. Aus diesen Partnerorganisationen kommt zwar wenig wissenschaftliche Expertise, aber umso mehr Positionspapiere für Gesetzesvorhaben. Sie betätigen sich als Meinungsmacher, Politikberater und Kampagnenprofis bei Themen, die in der »Prager Erklärung« von 2009 aufgezählt sind.
Partnerorganisation in Deutschland ist beispielsweise das Institut für Unternehmerische Freiheit (IUF), dessen Vorstand auch an der Wahlalternative 2013, der Gründungsplattform der AfD, beteiligt war. Hans-Olaf Henkel, auch Wahlalternative 2013, und jetziger AfD-Aktivist, sprach schon 2011 beim Stiftungs-Forum über die Aufspaltung der Eurozone. Vielfältige personelle Überschneidungen lassen sich zwischen den Stiftungs-Partnerorganisationen und etlichen deutschen Beratungsfirmen, sowie akademischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen belegen. Prominent sind hier Henkels »Bürgerkonvent«, die »Allianz für den Rechtsstaat« und »Zivile Koalition« von Beatrix von Storch (AfD-Abgeordnete im EU-Parlament und Gründungsmitglied). Sie alle eint ein genereller Vorbehalt gegenüber einer vertieften politischen Union und der Wunsch nach partieller Desintegration bei fortschreitender ökonomischer Liberalisierung, wenngleich sie sich im Ton und in den Nebenforderungen (z.B. von Storchs Hardliner-Kurs in Sachen Abtreibungen) doch erheblich unterscheiden.
Diese Netzwerke existieren schon seit den 90er Jahren. Schon 1992 kritisierten 155 deutsche Ökonomen in einem offenen Brief die Euro-Politik, parallel zu ähnlichen Initiativen der Torries in England (damals noch unter Magret Thatcher). Daraufhin entstand der erste euroskeptische deutsch-britische Think Tank in Brüssel, das »Centre for a New Europe«. Daraus entwickelten sich weitere Netzwerke und letztlich die heutigen Partnerorganisationen der New Direction Foundation. Der neueste Coup ist das Berliner »Open Europe«, ein Ableger des Londoner Open-Europe-Instituts, der Denkfabrik der Tories. Im Kuratorium von Open Europe Berlin tummeln sich nicht nur viele Ökonomen und Unternehmer, sondern auch ein ehemaliger Bundesbanker, eine ehemalige Führungskraft des bekannten Institut der deutschen Wirtschaft, ehemalige SPD-Mitglieder und Vera Lengsfeld (CDU), die auch bei der Zivilen Koalition (Beatrix von Storch) dabei ist und die AfD unterstützt.
Keimzellen der AfD
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in ihrer Kurzstudie von 2013 auch versucht, die Hintergründe der AfD zu erfassen. Demnach finden sich viele der heutigen AfD-Aktivisten schon im 1994 von europaskeptischen ex-FDPlern gegründeten Bund Freier Bürger (BFB). Diese Kleinstpartei begann früh mit den Klagen gegen den Maastrichter Vertrag. Der geringe Wahlerfolg des BFB hielt die Protagonisten (u.a. Karl Albrecht Schachtschneider) nicht davon ab, den Weg der Verfassungsbeschwerden gegen EU-Verträge bis heute weiterzuverfolgen. Andere, wie z.B. der Publizist Bruno Bandulet schreiben heute für die Junge Freiheit und das neurechte Portal »Eigentümlich Frei«. Der neoliberale Ökonom Joachim Starbatty, und das verschweigt die Adenauer Stiftung, ist Vorsitzender der »Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft«, die viele Berührungspunkte zur CDU/CSU und personelle Überschneidungen zu den oben beschriebenen Denkfabriken der New Direction Foundation hat. Neben der ähnlich klingenden arbeitgebernahen »Initiative Soziale Marktwirtschaft« (ISM) geht es bei der Aktionsgemeinschaft ebenso um die umfassende Reform der Europapolitik und, bis zur AfD-Gründung, auch um die außerparlamentarische Stärkung des rechtsliberalen Wirtschaftsflügels der CDU.
Gemeinsamkeiten lassen sich auch in der Finanzierung dieser »parapolitischen« Organisationen im Dunstkreis der AfD finden. So hat der Mövenpick-Milliardär August von Finck viele dieser Projekte (u.a. den Bund Freier Bürger in den 90er Jahren) und nun auch die AfD auf die professionellen Beine geholfen. Weitere bekanntgewordene Millionenspender der AfD, wie der Außenwerber Wall-AG, der Maschinenbauer SMS Group und der Hamburger Reeder Folkard Edler eint, dass sie Familienunternehmen sind. Es ist kein Zufall, dass beim diesjährigen »Tag der Familienunternehmen« AfD-Chef Bernd Lucke als erster Redner auftreten durfte. Die AfD ist offensichtlich der parlamentarische Arm dieser Kapitalfraktion, die bisher nur als Lobbyisten direkten Zugang zum deutschen Parlament hatten.