Erschaffen statt bewahren
17. Mai 2021
Die Arbeit der Bibliothek des Konservatismus (BdK)
Das von der Soziologin Lilian Hümmler verfasste Buch »Wenn Rechte reden« bringt wissenschaftliche Analyse und Antifa-Recherche zusammen. Die Autorin wirft dort einen feministisch-soziologischen Blick auf den ideologischen Thinktank der sogenannten Neuen (extremen) Rechten, die Bibliothek des Konservatismus (BdK). Sie untersucht die unterschiedlichen diskursiven und rhetorischen Strategien der Redner*innen, die dort bei Veranstaltungen auftreten oder Texte in den hauseigenen Organen veröffentlichen.
Die Bibliothek des Konservatismus wurde 2012 in Berlin-Charlottenburg eröffnet und gibt sich auf der eigenen Homepage betont harmlos als »Ort für Wissenschaft und Forschung sowie Raum für Veranstaltungen und Begegnungen« aus, der einen Schwerpunkt auf den Konservatismus in Deutschland und weltweit lege. Der Bestand umfasst eine große Anzahl von Schriften aus dem Spektrum konservativer Literatur über Bücher der sogenannten Lebensschutzbewegung bis hin zu extrem rechten Werken und vielen eigenen Publikationen. Außerdem finden in der BdK regelmäßig Veranstaltungen statt. Das Ziel der BdK ist die Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung. Dabei dient die Selbstbeschreibung »konservativ« der Augenwischerei und ist eine Strategie, um extrem rechte Positionen und Vernetzungen zu verwischen, wie das antifaschistische Pressearchiv (apabiz) aus Berlin im Juni 2020 feststellte. Für Berlin sei die Bibliothek ein einzigartiger Ort der Vernetzung bis ins extrem rechte Lager und versuche einen Brückenschlag zwischen Neuer Rechter, »Lebensschutz«bewegung und Leuten wie Hans-Georg Maaßen als Vertreter des rechten Flügels der CDU, der Werteunion, herzustellen. In einer Recherche Zeit Online stellten Christian Fuchs und Paul Middelhoff 2018 die Bibliothek als einen Ort eines weiten Netzwerkes neurechter Denkfabriken, Medien und Spender vor.
Hümmler konzentriert sich in ihrem Buch auf die Veranstaltungen der BdK und sichtet 24 davon auf dem YouTube-Kanal, um sie zu analysieren und einzuordnen. Um unterschiedliche Diskursstrategien deutlich zu machen, bearbeitet sie neun davon näher und ordnet sie in drei Kapitel: »Fortführen«, »Herstellen« und »Verändern«. Alle zielen auf die diskursive Verschiebung der Grenzen des Sagbaren. Dabei zeigt »Fortführen«, dass vermeintlich Konservatives überhaupt nichts Bestehendes ist, das bewahrt werden soll, sondern dass es darum gehe, durch vermeintlich Bestehendes den gesellschaftlichen Normalzustand fortzuführen und mit (extrem) rechter Ideologie zu unterfüttern. Nicht die Bewahrung vermeintlicher Traditionen ist der Ausgangspunkt, sondern die Schaffung eben dieser. Diese Schaffung oder dieses Fortführen arbeitet Hümmler an Hand der Veranstaltungen in der BdK heraus. Eine Strategie ist die »Freund versus Feind«-Setzung. »Freund versus Feind« ist ein Ausspruch des (extrem) rechten Staatsrechtlers und überzeugten NSDAP-Mitglieds Carl Schmitt (1888–1985). Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn bezeichnet ihn als »Kronzeugen der Neuen Rechten im Kampf gegen die Demokratie«. Salzborn kommt durch die Analyse von Schmitts Werken zu dem Schluss, dass der dort häufig adressierte »Wille des Volkes« im Grunde auf »völkische(r) Homogenität und einem kategorialen und militarisierten Freund-Feind-Denken basiert«. Eine zentrale Praktik, um komplexe Verhältnisse zu vereinfachen. Darin steckt der Wunsch nach einer Ordnung, in der es klare Aus- und Einschlüsse gibt, ein klares »Wir« gegen »die Anderen«.
»Herstellen« umfasst für Hümmler Strategien, die durch Übertreibung Bedeutung schaffen wollen. Eine neurechte Strategie ist, die eigene Marginalität nicht zuzugeben und das eigene Handeln in der Öffentlichkeit ausschließlich als Erfolg zu verkaufen.
Unter »Verändern« fasst Hümmler Strategien zusammen, die andere Erzählungen hervorbringen, sei es, dass durch Relativierung vergangener Ereignisse versucht wird, eine andere Geschichtsschreibung zu festigen, oder der Versuch unternommen wird, Gegenwart und Zukunft umzugestalten. Hier wirken verändernde, zerstörerische und rebellische Mechanismen zusammen. Einen davon benennt Hümmler als »Das war doch ganz anders«, eine Täter*in-Opfer-Umkehr, welche mit Relativierung und Leugnung arbeitet, um gesellschaftliche Diskurse zu verändern.
Die Bibliothek des Konservatismus ist neben und nach dem größeren Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) ein zweiter (extrem) rechter Thinktank, der nicht überhöht, aber auch nicht unterschätzt werden sollte. Die Praktiken und das Sprechen zu analysieren ist eine Methode, die kritische Auseinandersetzung mit der (extremen) Rechten zu stärken und weiterzuführen.
Die beiden Autorinnen sind organisiert im Trouble Everyday Collective, einer queerfeministischen Gruppe, die sich unter anderem mit materialistischem Feminismus beschäftigt und seit 2015 mit Kundgebungen und Veranstaltungen auf die BdK aufmerksam macht