Profitiert und stabilisiert
8. September 2024
Katholische Perspektive auf Zwangsarbeiter
Es ist schon etwas Besonderes, wenn eine katholische Kirchengemeinde ein Buch über Zwangsarbeit in der Nazizeit herausgibt. Tatsächlich gibt es – nach der Aufarbeitung in den verschiedenen Bistümern – einzelne Werke zu diesem Thema. Auch in den Einrichtungen der katholischen Kirche waren Zwangsarbeiter eingesetzt.
Das vorliegende Buch der St.-Gallus-Gemeinde in Frankfurt am Main fällt dennoch aus dem Rahmen. Die Gemeinde fühlt sich seit vielen Jahren mitverantwortlich für die Aufarbeitung des Schicksals der mehreren tausend Zwangsarbeiter, die für den Rüstungsbetrieb Adlerwerke nach Frankfurt zuerst gelockt, dann verschleppt wurden und unter schlimmen Bedingungen als Sklavenarbeiter tätig sein mussten. Das Buch ist insofern ein »Gemeinschaftswerk«, als neben historischen Darstellungen Berichte ehemaliger Zwangsarbeiter und anderer Zeitzeugen in diesen Band aufgenommen wurden.
Herbert Bauch, Politikwissenschaftler und aktiv im Verein »Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim« (LAGG), der sich seit vielen Jahren mit den Adlerwerken beschäftigt, und Thomas Schmidt, Arbeiterpriester und bis 2022 Pfarrer in der Gemeinde St. Gallus, stellen in ihrer Einführung den historischen und gesellschaftlichen Rahmen des historischen Ortes und seiner Aufarbeitung dar. 2003 erhielt die Gemeinde Materialien von Paul Roos (Essen), in denen es um die Arbeit der französischen christlichen Arbeiterjugend JOC (Jeunesse Ouvrière Chrétienne) unter Zwangsarbeitern im Rhein-Main-Gebiet ging. Die Adlerwerke Frankfurt als Rüstungsbetrieb spielten darin eine große Rolle. Hier waren zu Kriegszeiten mehr als 6.000 Beschäftigte, darunter mindestens 2.000 Zwangsarbeiter, und 1.600 KZ-Häftlinge, die als Außenlager »Katzbach« des KZ Buchenwald geführt wurden.
Inhaltlich eingeleitet wird die Dokumentation mit dem Beitrag von Joachim Rotberg, »Katholische Kirche und NS-Zwangsarbeit: Wie war es im Frankfurter Gallus?«. In der gebotenen Kürze erläutert er das System der Zwangsarbeit und der gesellschaftlichen Aufarbeitung – auch seitens der katholischen Kirche. Denn – so sein Fazit – »Kirche hat in unterschiedlicher Gestalt unter Zwangsarbeitern gewirkt und ihre Not barmherzig gelindert. Genauso hat Kirche als Institution von der Ausländerbeschäftigung profitiert und damit geholfen, den NS-Staat zu stabilisieren« (S. 27). Exemplarisch schildert er – als Beispiel für die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen – das Schicksal des französischen Zivilarbeiters Charles Alberto, der 1944 verstarb (S. 30). Rotberg betont, das Sterbebuch sei eine wichtige Quelle, um zu zeigen, »dass die Ortskirche von St. Gallus mit dem Leid und der Gewalt des ›Ausländereinsatzes‹ konfrontiert war« (S. 42).
Wenig bekannt ist, wie sich die französische katholische Kirche darum bemühte, eine religiöse Betreuung der Zwangsarbeiter zu ermöglichen. Zu den Priestern, die diese Aufgabe übernahmen, gehörte Abbé René Fraysse, der als »Geheimpriester« nach Deutschland entsandt wurde (S. 46). Als Mitglied der »Action française«, einer katholischen Organisation, deren Mitglieder teilweise mit der Résistance zusammenarbeiteten, ließ er sich für den STO (Service du travail obligatoire – Pflichtarbeitsdienst) anwerben, um direkt Kontakt zu den französischen Zwangsarbeitern zu bekommen. Diese Arbeit war risikoreich, da das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) seelsorgerische Tätigkeit unter den französischen Arbeitern verboten hatte. Fraysse begann seine Arbeit damit, dass er Kontaktpersonen, insbesondere aus den Reihen der JOC, ansprach und daraus ein Netz von Vertrauten aufbaute. Gleichzeitig stand er in Kontakt zu deutschen Katholiken, um Möglichkeiten zur Teilnahme an Gottesdiensten und anderen sakralen Handlungen zu eruieren. Tatsächlich gelang es ihm und den anderen »Geheimpriestern«, eine umfangreiche religiöse Betreuung aufzubauen. Für das RSHA galt dies als »deutschfeindliche und prokommunistische Zersetzungsarbeit«, weshalb gegen die »Action française« mit aller Härte vorgegangen wurde. Im Frühjahr 1944 begannen Verhaftungen. Manche enttarnten »Geheimpriester« wurden nach Frankreich zurückgeschickt. Elf kamen in das KZ Dachau, darunter Fraysse, einer in das KZ Bergen-Belsen.
Über seinen Weg »Von Frankfurt nach Dachau« hat Fraysse bereits 1946 einen knappen Bericht verfasst, der ergänzt durch zeitgenössische Dokumente den Teil der Erinnerungen in dem vorliegenden Buch einleitet. Hier findet man weitere zeitgenössische Texte und Dokumente, die episodenhaft die Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch den Mut und die Standhaftigkeit der französischen Zwangsarbeiter beleuchten. Wie genau der NS-Terror diese Arbeit unter französischen Zwangsarbeitern beobachtet hat, zeigt der zum Schluss abgedruckte mehrseitige Bericht des RSHA vom 3. Dezember 1943 »Betrifft: Tätigkeit der französischen katholischen Aktion unter den französischen Zivilarbeitern im Reich«.
Ein interessantes Buch, das einen bislang wenig beachteten Aspekt des Zwangsarbeitereinsatzes und deren persönlichen Behauptungswillen beleuchtet.