Verzweifeln und Hungern
6. November 2021
Mit welchen Mitteln für eine andere Klimapolitik?
Die Klimakrise ist hierzulande in den letzten vier Jahren nicht nur sichtbarer geworden, durch anhaltende Dürren und verheerende Flutkatastrophen etwa, sie ist auch lauter geworden – zu verdanken ist dies einer großen Klimabewegung, die ihr Drohen immer wieder sichtbar macht, sei es durch Aktionen des zivilen Ungehorsams oder große Streiks, an denen Hunderttausende teilnehmen. Gebracht hat es bislang wenig, aus der Warnung vor der 1,5-Grad-Marke ist schnell das 1,5-Grad-Ziel geworden, der Weg dorthin voller inhaltsleerer und realitätsferner Versprechungen seitens der Politik. Dass die Flutkatastrophe in Westdeutschland beziehungsweise der Umgang damit medial als Duell zwischen Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) gehandelt wurde, aus dem ausgerechnet Olaf Scholz (SPD) als Gewinner hervorging, lässt verzweifeln.
Die politikbewegte Jugend scheint diese Verzweiflung auf zwei verschiedene Arten zu bewältigen. Die einen wählen FDP und sitzen dem beruhigenden Irrglauben an technologische Innovation zur Verhinderung des Klimakollaps auf, die anderen erkennen an, dass der Kapitalismus die Ursache der Klimakrise ist und sind oder werden Teil der Klimabewegung. (Diese Darstellung ist natürlich stark verkürzt und erklärt nicht, warum zum Beispiel einige die Grünen wählen.)
Innerhalb der Klimabewegung gibt es dann jene, die die bislang gewählten Mittel des Protests als nicht ausreichend empfinden und den Konflikt durch drastischere zuspitzen möchten. Kurz vor der Bundestagswahl entschloss sich also eine kleine, isolierte Gruppe junger Menschen, gemeinsam in den Hungerstreik zu treten. Ihre Forderung: öffentliche Gespräche mit den Spitzenkandidat_innen von SPD, CDU und Grünen, um sie vor der Wahl zu einem Statement zu zwingen, als ob die letzten Jahre nicht gezeigt hätten, dass von diesen nicht mehr zu erwarten ist als ein blindes weiter so. Die Inszenierung des Streiks in den sozialen Medien, das Gerede vom Mord an der jungen Generation, während wenige hundert Meter entfernt zwei Brüder vorm Auswärtigen Amt ebenfalls im Hungerstreik sind, um auf die für ihre Familie und viele andere mörderische Situation in Afghanistan aufmerksam zu machen, lässt kopfschüttelnd zurück.
In den Hungerstreik treten Menschen, wenn sie außer ihres eigenen Körpers nichts mehr zu verlieren haben. Diese Menschen haben dann keine medizinische Notfallversorgung 24/7 zur Verfügung oder die Augen der Öffentlichkeit auf sich. Das einzige, was sie mit der Gruppe junger Klima*aktivistinnen eint, ist, dass auch ihre Forderungen meistens nicht erfüllt werden. Was sie noch weiter trennt, ist, dass sich niemand kümmert, wenn ihre Körper wirklich Schaden nehmen, sie sogar sterben. In den Hungerstreik zu treten, um Gespräche mit Spitzenpolitiker*innen zu erzwingen, ist kleinlich und anmaßend zugleich. Trotzdem offenbart es den hohen Grad der Verzweiflung, den viele junge Menschen zu Recht verspüren angesichts ihrer Zukunft. Es wird Aufgabe der Klimabewegung sein, diese Verzweiflung von passiven in aktiven Widerstand umzuleiten und die Dinge in die eigene Hand zu nehmen, statt auf Regierungen zu bauen.