Multidimensionaler Krieg
27. April 2024
Die Strukturreform der Bundeswehr ist in vollem Gange
»Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime« – diese Aussage aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 2023 steht bisher wie keine andere für die Marschrichtung, die Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) der Bundeswehr verordnet hat. Anfang April traten er, Generalinspekteur Carsten Breuer und Staatssekretär Nils Hilmer vor die Presse, um die »Bundeswehr der Zeitenwende« vorzustellen.
Die Führungsstrukturen des deutschen Heeres sollen schlanker, die Hierarchien und Befehlsketten klarer und bisherige Doppelstrukturen abgebaut werden. Ausgerichtet wird die neue Struktur an der US- und NATO-Doktrin namens Multi-Domain-Operations. Dieses Konzept für Großmachtkriege der Zukunft sieht eine enge Verzahnung der verschiedenen Dimensionen der Kriegsführung vor.
Im Zentrum der militärischen Strukturen stehen daher die drei bereits bestehenden Teilstreitkräfte Heer für die Dimension Land, Luftwaffe für Luft- und Weltraum und Marine für die See. Zudem wird der bisherige Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum zur vierten Teilstreitkraft aufgewertet.
Alle weiteren dimensionsübergreifenden Strukturen der Bundeswehr werden dem stellvertretenden Generalinspekteur unterstellt und grundlegend neu organisiert. Alle Einsätze der Bundeswehr werden künftig aus einem Operativen Führungskommando geführt. Die bisherigen Organisationsbereiche Streitkräftebasis und Zentraler Sanitätsdienst verlieren hingegen ihre Eigenständigkeit und gehen in einem neuen Unterstützungskommando der Bundeswehr auf.
Neben den Streitkräften beinhaltet die aktuelle Reform auch die Vorbereitung der Bundeswehr-Verwaltung auf einen potenziellen Kriegsfall. Um Verwaltungsaufgaben an zivile Angestellte abzugeben, sollen im Bereich Infrastruktur, Umwelt und Dienstleistungen (IUD) eigene Einheiten geschaffen werden, die den Kampftruppen der Teilstreitkräfte zugeordnet werden. Besonders brisant sind die Reformansätze im Bereich des Personalwesens. Hier sollen jetzt Strukturen geschaffen werden, die in der Lage wären, künftige Musterungen bis hin zur Wiedereinführung eines Wehrdienstes zu verwalten.
Pistorius will mit der Strukturreform zu Ende bringen, was seine beiden Vorgängerinnen Christine Lambrecht sowie Annegret Kramp-Karrenbauer mit Reformvorschlägen, Eckpunkten und Prüfaufträgen begonnen hatten. Die Umsetzung startete Mitte April 2023 mit der Ankündigung eines neuen Planungs- und Führungsstabs im Verteidigungsministerium, um einen besseren Zugriff auf die Strukturen im Verteidigungsministerium zu ermöglichen. Auf die Veröffentlichung der Verteidigungspolitischen Richtlinien am 9. November 2023, in denen die »Kriegstüchtigkeit« festgeschrieben wurde, folgten die Pläne für den Umbau des Ministeriums. Die rund 200 bis 300 frei werdenden Dienstposten sollen für Aufgaben der unteren Ebenen in Truppe und Bundeswehrverwaltung eingesetzt werden. Im Dezember 2023 wurde im Ministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um Reformvorschläge zu erarbeiten. Diese sollten »ergebnisoffen Organisations- und Strukturentscheidungen sowie bestehende Kommandos und Ämter […] hinterfragen sowie Kriegstüchtigkeit als übergeordnetem Maßstab für die Eignung der Vorschläge« anlegen. Geführt wurde die Arbeitsgruppe von Zweisternegeneral Andreas Hoppe, der nach Vollendung seiner Aufgabe zum 1. April 2024 zum neuen, jetzt noch mächtigeren, stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr befördert wurde.
Im besagtem Bericht bereits angekündigt ist der Auftrag an die künftigen vier Inspekteure von Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber- und Informationsraum sowie die zwei Kommandeure von Operativem Führungskommando und Unterstützungskommando, bis Oktober 2024 Pläne für die Reform der ihnen unterstellten Bereiche vorzulegen. Die jetzt folgende Weiterentwicklung und Feinausplanung sollen unter den aus dem Ministerium vorgegebenen Maßgaben »Aufwuchsfähigkeit, Skalierbarkeit, Dynamikrobustheit, Digitalisierung (Zukunftstechnologie, Operationsführung) Informationsüberlegenheit und Kriegsversorgung« stattfinden. Bis April 2025 dürften die Strukturen der Bundeswehr damit binnen zwei Jahren einmal von Kopf bis Fuß auf Kriegstüchtigkeit durchreformiert sein.
Das dem zugrundeliegende Konzept für die vernetzte, digitalisierte und eng verzahnte Kriegsführung der Zukunft wurde Ende der 2010er-Jahre maßgeblich von US-General David G. Perkins entwickelt. Ausgehend von der vorherigen US-Doktrin der vernetzten Kriegsführung von Land- und Luftstreitkräften (Land-Air-Operations) soll es für die Großmachtkonkurrenz der Zukunft eine enge Vernetzung der fünf militärischen Dimensionen Land, Luft, See, Weltraum und Cyberspace geben. So könnten auch militärisch ebenbürtige Gegner bezwungen werden. Dafür müssten die eigenen Streitkräfte die Fähigkeiten besitzen, die gegnerische Verteidigung in allen fünf Dimensionen gleichzeitig zu bedrohen, um so in mindestens einer Dimension einen Durchbruch zu erringen. Laut dem Vordenker Perkins gibt es nur Phasen der Konkurrenz und der offenen Konfrontation, die dann wiederum von einer weiteren Phase der Konkurrenz abgelöst würden. Friedenszeiten sind in dieser Denke ausgeschlossen.
Marginalie
Die Umbaumaßnahmen in der Wehrverwaltung erinnern an eine Reaktivierung des Kalten Krieges. Wohingegen die Umstrukturierung der Truppe eher für eine Ausrichtung auf ein Kriegsbild der hoch vernetzten, digitalisierten Kriegsführung der Zukunft spricht. Sinnbildlich dafür steht die Aufwertung des Bereichs Cyber- und Informationsraum, dessen eigene Fähigkeiten, selbst Cyberangriffe und Propagandakampagnen durchführen zu können, verschwiegen werden.