Die Roma-Armee
7. November 2017
Am Berliner Gorki-Theater sorgt ein Stück über Diskriminierung von Roma für Aufsehen
Seit der Übergabe der Intendanz des Berliner Gorki-Theaters an Shermin Langhoff wurde dem »post-migrantischem Theater« ein prominenter Platz im Kulturbetrieb gegeben. Postmigrantisch meint hier die Einsicht, dass viele der ehemalig Eingewanderten ihre Migrationsgeschichte – die mitunter Generationen zurückliegt – hinter sich gelassen und ihren Platz hierzulande gefunden haben – als Deutsche. Sie weiterhin als MigrantInnen zu bezeichnen und sie irgendwie von den Deutschen abzugrenzen, bildet nicht (mehr) die bundesrepublikanische Realität ab. Das Gorki-Theater hat sich diesem Ansatz verschrieben unter anderem mit Stücken zu anhaltender, sich aber dennoch transformierender Diskriminierung.
In dem aktuellen Stück »Roma-Armee« wird über die Lebensrealität von Romnija und Roma berichtet und über Auswege aus dem weiterhin grassierenden Antiziganismus in Deutschland und Europa nachgedacht. Was stünde auf der Tagesordnung, wenn die Jahrhunderte andauernde Diskriminierung in Europa endlich beseitigt werden sollte? Anerkennung der Verfolgung, Aufarbeitung, Wiedergutmachung? Wie den Klischees begegnen? Wie können sich Romnija und Roma beispielsweise von der verinnerlichten Opferrolle emanzipieren und sich selbstbewusst mit Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft richten?
Diese Fragen werden in dem Stück von einem Gespann von SchauspielerInnen, die vor allem ihre eigene Geschichte als Romnija und Roma erzählen, aufgebracht und schrill, mit einer großen Portion Selbstbewusstsein und feministischem Anspruch dargestellt. Sie gründen eine bewaffnete Eingreiftruppe, wollen die unterschiedlichen Gruppen der Romnija und Roma vereinen und zusammen den Kampf aufnehmen. Das Stück richtet sich mit dieser Einigkeits-Forderung sehr stark nach innen und rüttelt mit seiner Kampfansage Nicht-Roma (Gadjé) auf. Diese Melange aus Opferstatus und Emanzipationsgeschichte, die mit viel Popmusik, Glitter, Tanz und Pathos daherkommt, will provozieren. Und das hat sie geschafft.
Die Theaterkritiken reichen von begeistert (Berliner Morgenpost) bis sehr ablehnend (SWR). Überwiegendes Urteil: Zu klischeehaft, zu radikal und zu wenig künstlerisch. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass hier Nationalstolz und Nationalismus zelebriert würden. Als ob die Selbstbehauptung einer rassistisch unterdrückten Gruppe das Gleiche sei wie der nationalistische Rechtsruck in vielen europäischen Staaten. Tom Mustroph verrennt sich in seinen Kritiken für taz und Neues Deutschland in einen Pegida-Vergleich: »‘Ich bin stolz, Rom zu sein‘ heißt es zum Höhepunkt der Bekenntnisorgie. Sonst hört man das, ins Deutsche gewendet, bei Pegida, AfD & Co.« Diese formale Kritik lässt offensichtliche Herrschaftsverhältnisse unbeachtet und zeigt, dass in der Anti-Diskriminierungs-Arbeit auch für links-liberale JournalistInnen noch ein langer Weg zu gehen ist.
Die überwiegend kritischen Besprechungen sind auch ein Beweis dafür, dass der Kampf gegen Rassismus genauso geführt werden muss: radikal, vielstimmig und selbstbestimmt. Statt sich an den Regeln und Wohlfühl-Bedürfnissen der Nicht-Betroffenen zu orientieren, um die Rassismus-Kritik möglichst schonend zu platzieren, vergreifen sich die KünstlerInnen der Roma-Armee bewusst im Ton.
Ein Abend, der sich zum Ziel gesetzt hat, selbstbestimmt gegen Unterdrückung zu kämpfen, sollte das vom Rassismus nicht-betroffene Publikum zumindest »mulmig« fühlend zurücklassen. Die Macherinnen Simonida und Sandra Selimovic bringen es in einem Interview auf den Punkt: »Jede Befreiungsbewegung muss ins Extreme gehen, um schließlich in der Mitte anzukommen«. So bleibt man bisweilen auch schlechten Gefühlen ausgeliefert und stellt sich erkenntnisreiche Fragen rund um die eigene Position: Was ist meine Rolle darin? Warum finde ich das gerade zu radikal? Damit einen Umgang zu finden ist eine zentrale Aufgabe für alle, die sich als antirassistisch verstehen. Gerade in Zeiten des noch aktueller gewordenen Kampfes gegen die AfD lohnt es sich, Rassismus nicht nur bei den anderen zu suchen. Die Frage zu stellen, ob die deutliche Ablehnung von Selbstermächtigungs-Szenen in den Theaterkritiken einer nicht aufgearbeiteten rassistischen Prägung der JournalistInnen geschuldet ist oder eine berechtigte Kunst-Kritik darstellt, könnte auch lohnenswert sein.