Programmierte Pogrome?
7. November 2017
Psychoanalytische Tagungsbeiträge zu AfD, Pegida & Co.
Unterhalten sich Antifa-Aktivisten und Aktivistinnen innen über Pegida, AfD und Konsorten, ihre Umtriebe, über Ursachen und Begleitumstände ihrer Erfolge, kommt irgendwann nach einem kurzem Schweigen der Moment an dem jemand sagt: »Also, warum die das eigentlich machen, verstehe ich nicht…«
Das ist der Moment, an dem politisches Analysieren an seine Grenzen stößt. Es ist nicht wirklich zu verstehen, wie beispielsweise sächsische Kleinstädter darauf kommen, ihnen völlig unbekannte hilflose Menschen zu beschimpfen, mit Steinen zu bewerfen und nur durch Gegengewalt an Schlimmerem zu hindern sind. Oder ist es doch zu verstehen, nur unser Instrumentarium dafür nicht ausreichend?
Die 15 Beiträge des Tagungsbandes »Populismus, Paranoia, Pogrom« der Frankfurter »Initiative 9. November« kommen direkt nach dem Durchbruch der AfD bei den Bundestagswahlen zur rechten Zeit. Der Blickwinkel der Autoren ist der der psychoanalytischen Sozialpsychologie und fragt nach tiefliegenden Bedingungen und Ursachen für politisch wahnhaftes Denken und Handeln. Er ist auch deshalb besonders wichtig, weil er einen Kontrapunkt zu der zurzeit beliebten Tendenz setzt »mit Rechten reden« zu wollen, sie »mit Argumenten zu widerlegen« oder zu »überzeugen«.
Als allererstes springt ins Auge, dass die Freudianer keinerlei Grund sehen, zwischen der Ideologie des Nationalsozialismus und der der AfD und Pegida nach Unterschieden zu suchen. Zwar seien die Äußerungsbedingungen anders, Ziele und Motive des Denkens aber deckungsgleich. Die AfD ist kein irgendwie geartetes neues Phänomen für das pflichtschuldigst der neue Begriff Rechtspopulismus zu verwenden sei, sondern die Wiederkehr des deutschen Faschismus. »Alles drängt letztlich – auch im Sinne des Wortes – auf eine finale Lösung, indem das paranoide Objekt zur Rettung der Affektlogik totzuschlagen wäre.« so Herausgeber Wolfgang Leuschner in einem erschütternden Beitrag über »Verfolgungswahn, Zerstören und Totschlagen – zur Psycho- und Soziogenese rechter Gewalt«.
AfD-Anhängern ihre Vorstellungswelt ausreden zu wollen ist aus der wissenschaftlichen Sicht der Psychoanalyse gänzlich sinnlos. Ein Austausch von Sachargumenten setzt voraus, dass der andere dazu auch bereit ist. Genau das Gegenteil ist jedoch bei den Aktivisten der AfD der Fall. Ihr ganzes Reden dient der Zerstörung der Logik und der Etablierung eine »Verwirrlogik« in Form von Verschwörungstheorien. Die Voraussetzungen dafür sieht der Psychoanalytiker Leuschner in der frühen Kindheit, in der nicht gelungenen Bändigung gewaltsamer Triebe des Kleinkindes, die als latente Gefahr, als »notorischer Hang sich verfolgt zu fühlen« schlummern. »Scharf gemacht« würden sie durch die gezielte Ansprache von Ideologen vom Schlage Höckes und Gaulands und letztlich durch Kollektivbildung zur gesellschaftlichen Gefahr.
Dietmar Becker interpretiert in »Bann und Befehl« das Verhältnis von Angst, Unterwerfung, Mitleidsabtötung und Gewalttat. Die Ausführung eines Befehls z.B. zum Töten von Schwächeren ist demnach zweierlei: Zumutung und Vertrauensbeweis. Für den Täter ist der Befehl eine seelische Gefahr, ein »Introjekt«, das durch Unterwerfung und Leistungsbereitschaft zu befrieden versucht wird, daher die Bereitschaft zur kreativen Ausübung des Befehls.
Jan Lohl untersucht in seinem Beitrag zur rechtspopulistischen Propaganda detailliert Auftritte von Björn Höcke und ihre »triadische Struktur« aus Beschwörung deutscher Größe, Beklagen des gegenwärtigen Zustandes und Selbstinszenierung als Retter und Führer. Er fragt nicht nur danach was, sondern auch wie etwas gesagt wird. Er analysiert, dass ein Großteil seiner Reden sich mit den Themen »nicht schaffen« und »nicht können« beschäftigt und fragt sich was dies wohl bei den Zuhörerinnen, die ja nicht zur zuhören, sondern aktiv teilnehmen, auslösen mag. Es ist die Angst vor dem eigenen »nicht schaffen« in der modernen Leistungsgesellschaft, die den Treibstoff für den Hass auf andere liefert. Höcke erschafft das Wunschbild eines nichtambivalenten Deutschlands und stört es zugleich durch Negativdarstellungen der deutschen Realität. Damit vergrößere er bewusst Ängste und Nöte und die Bereitschaft der Zuhörer, diese Spannung zu externalisieren, d.h. auf andere angeblich »nicht schaffende« zu übertragen. Der Überfall auf das Hassobjekt ist keine bedauerliche Entgleisung, sondern zwingend in der Affektlogik der Rechten angelegt. Das nächste, dieses Mal blutige, rassistische Pogrom in Sachsen ist nur eine Frage der Zeit, ist zu folgern.
Die »Möglichkeitsräume« des modernen Faschismus sind zu schließen, damit sich die Hassaffekte ihre Mitglieder nicht immer stärker aufladen und nach todbringender Entladung suchen. Darüber hinaus eine solidarische »soziale Infrastruktur« zu schaffen in der Hassaffekte gebändigt und abgebaut werden, sollte das große gesellschaftliche Ziel sein.