
Foto: Presseservice Rathenow. Unser Titelbild zeigt eine Demonstration mit rund 13.000 Teilnehmer:innen am 29. Januar vor der CDU-Bundeszentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Da hatte die AfD im Bundestag erstmals einem Antrag der Union zu einer knappen Mehrheit verholfen, was CDU und CSU bewusst in Kauf nahmen
Editorial
Mit Einschätzungen à la »nochmal gutgegangen« oder »noch ein Glück« heißt es vorsichtig umzugehen. Sie bedeuten meist ein geringeres Übel – in jedem Fall etwas Schlechtes. So auch die Ergebnisse der Bundestagswahl. Wenn die Fallhöhe eine AfD in der Regierung ist, dann ist es leicht, aufzuatmen. Doch sich in unerträglichen Zuständen einzurichten, weil mörderische zunächst ausbleiben, ist kein guter Ratschlag. Bevor wir also fragen, was tun, müssen wir verstehen, was ist. Der Wahlkampf war geprägt vom alten Spiel des Erschreckens und Erregens, um von der Lösung der Vielfachkrisen abzulenken. Mörderische Taten durch »Nichtdeutsche« wurden genutzt, um Migration als Ganzes zum Problem zu machen. Auf Kriegsleid und Zerstörung folgte der Ruf nach mehr Militarisierung.
Festzustellen ist eine erschreckende Vereinheitlichung der Lösungsvorschläge bei den koalitionsfähigen Parteien der »demokratischen Mitte«, auch wenn in der Arena für das Publikum die Hemdärmel hochgekrempelt wurden. Das Grundrechtekomitee hat analysiert, was wir in der kommenden Legislatur erleben werden: Ausbau staatlicher Überwachung (biometrische Kamera-überwachung, Vorratsdatenspeicherung), eine Beschränkung staatlicher Versorgungsleistungen (Bürgergeldreform), eine Verschärfung der Asyl- und Grenzpolitik (u.a. Internierung an EU-Außengrenzen, mehr Lager- und Gefängnisunterbringung für Schutzsuchende, mehr Abschiebungen) sowie Mehrausgaben fürs Militär (radikale Aufrüstung, Waffenlieferungen, Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie). Die Wehrpflicht für alle Geschlechter wird ebenso kommen, wie das Aussetzen der Schuldenbremse. Wer bei der Diskussion genauer hinhörte, hat gemerkt, dass die Aufhebung immer mit Dringlichkeiten des Wehretats legitimiert wurden – also eine Art Kriegskeynesianismus, kreditfinanzierter Krieg zur Ankurbelung der Wirtschaft. Das hat nicht nur was mit der Ukraine zu tun. Tatsächlich konnten EU-Großmachtambitionen auf internationaler Bühne bisher nur im Windschatten der USA gedeihen. Da dies mit Trump als US-Präsident schwieriger werden dürfte, werden wir eine neue Form der EU-Einigkeit zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen erleben.
So betrachtet entpuppt sich das Ergebnis der Bundestagswahl nicht als kleineres Übel, sondern als zweitgrößtes Unglück. Nils Becker
BEITRÄGE
Zeitgeschehen
Extrem rechte Kräfte weltweit mit fürchterlichem Aufschwung (Cornelia Kerth)
Nach Pakt mit AfD-Nazis versuchen CDU und CSU kritische Stimmen zu erpressen (Andreas Siegmund-Schultze)
Dresden, 80 Jahre nach dem 13. Februar 1945 (Kerstin Köditz)
Antifaschistische Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Riesa erfolgreich (Sahra Fischer und Irmgard Wurdack, AgR)
Auch 2025 Widerstand gegen Neonazitreffen in Budapest (Florian Gutsche)
2. bis 4. Mai Gedenken an 80 Jahre Befreiung des Frauen-KZ Ravensbrück (Einige Mitglieder der LGRF)
Lisa Poettinger setzt sich für Klimaschutz, Antikapitalismus und Antifaschismus ein mit einem Berufsverbot belegt worden. Interview
Meldungen
AfD entledigt sich ihres Jugendverbandes JA (Janka Kluge)
Mehr Sorgfalt beim Faschismusbegriff! Vom Schlagwort zur Analysekategorie (Mathias Wörsching)
Zum Für und Wider eines AfD-Verbotsverfahrens (Thomas Willms)
Eindrücke von den Gedenkveranstaltungen zur Befreiung von Auschwitz (Ulrich Schneider)
Spezial
Überlegungen zur Zukunft der antifaschistischen Erinnerungsarbeit
Porträt
Zum Tod von Werner Knapp (Günter Wehner und Jutta Harnisch)
Internationales
Österreich ist knapp an einem FPÖ-Kanzler vorbeigeschliddert (AIB)
In Richtung eines rechten autoritären Staates: Die USA seit Trumps Amtseinführung am 20. Januar (André Wartmann)
Der indigene politische Gefangene Leonard Peltier wurde aus der Haft entlassen (Michael Koch)
Nach 16 Monaten Krieg: Die fragile Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas (Kristin Caspary)
Geschichte
Die Agonie des deutschen Faschismus und die NS-Verbrechen (Ulrich Schneider)
Kultur
Auf 1.400 Seiten Maßstäbe gesetzt – »Martha und Harry Naujoks. Zwei Leben für die Befreiung« (Peter Nowak)
Trotzdem da! – eine Wanderausstellung zu Kindern aus in der Nazizeit verbotenen Beziehungen (Gedenkstätte Lager Sandbostel/Gerald Netzl)
Elf Jahre auf der Suche nach Zeitzeugen: 121 Überlebende des Faschismus in Stefan Hankes Fotoband (Axel Holz)
Ein kleiner Band mit Analysen zur Rolle des Mythos in der Naziideologie (Janka Kluge)
Mit Assoziationsreichtum und Ausdauer: Naomi Kleins Buch »Doppelgänger« (Axel Holz)
Buch zur Inhaftierung von »Berufsverbrechern« im KZ Mauthausen (Gerald Netzl)
Aus der Arbeiterbewegung: Regina Scheers Biografie über Hertha Gordon-Walcher (Ulrich Schneider)
Sammelband zu einer Tagung über jüdischen Widerstand in Europa in der Nazizeit (Bernd Hüttner)
Anpassung und Autonomie: Natan Sznaiders neues Buch gegen deutsche Vergessensbereitschaft (Harry Friebel)