Aufstand in Sobibór

geschrieben von Markus Tervooren

5. September 2013

Die Geschichte des Thomas Blatt – ein Videointerview

Jan.-Feb. 2011

»Wer dies überleben wird, soll die Welt wissen lassen, was uns hier passiert ist.« Alexander Aronowich Pechersky, Anführer des Aufstands in Sobibor, Sekunden vor dem Ausbruch

Die Geschichte des Thomas Blatt – ein Videointerview von Lisa Bolyos und Katharina Morawek (Santa Babara / Wien 2010 / 38 Minuten)

Lisa Bolyos und Katharina Morawek schreiben derzeit an der Akademie der Bildenden Künste in Wien ihre Dissertationen bzw. lehren dort. Gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen betreiben sie das Projekt« Plattform Geschichtspolitik«. Sie interessiert u.a. die Verbindung von Oral History und visueller Bearbeitung, ebenso wie die Frage, wie die Shoah filmisch darstellbar ist.

Thomas (Toivi) Blatt ist Autor der Bücher »From the Ashes of Sobibór. A Story of Survival« (1997), »Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór« (2000) und »Sobibór – Der vergessene Aufstand. Bericht eines Überlebenden« (2004). Bei der Entstehung des Films »Escape from Sobibor« (Regie: Jack Gold, UK 1987) war er gemeinsam mit dem Überlebenden Stanislaw Szmajzner beratend tätig. Er ist nach wie vor in der Holocaust Education tätig.

Kontakt zu den Filmemachern über die Berliner VVN-BdA.

»Letzen Monat bin ich nachts zweimal aus dem Bett gefallen. Ich habe wieder geträumt. Mein Fluchtversuch ist misslungen«. Auch nach über 67 Jahren ist Thomas Toivi Blatt dem Vernichtungslager Sobibór nicht entkommen. Das ist eine Quintessenz des 38-minütigen Interview-Films der beiden Wiener Künstlerinnen Katarina Mowarek und Lisa Boyles.

Thomas Toivi Blatt wurde am 15. April 1927 geboren und wuchs im jüdischen Schtetl von Izbica, 55 km südöstlich von Lublin, in Polen auf. 1942 diente das Ghetto von Izbica für wenige Monate als Durchgangslager bei der Deportation von Juden und Jüdinnen von Łódź in die NS-Vernichtungslager Bełżec und Treblinka und Sobibór. Toivi Blatt wurde mit seiner gesamten Familie nach Sobibór deportiert, seine Familie wurde bei der Ankunft sofort in die Gaskammern getrieben und ermordet.

1943 nach dem Sieg der Roten Armee in Stalingrad, beschloss eine Gruppe von Gefangenen unter Führung von Leon Feldhendler, einem Mitglied des Judenrates von Żółkiewka, den Plan zum Aufstand gegen die SS und zum gemeinsamen Massenausbruch., Mit der Ankunft von jüdischen Kriegsgefangene aus der Roten Armee, die den notwendigen Umgang mit Waffen beherrschten, wurde der Plan in die Tat umgesetzt. Militärischer Leiter wurde der jüdische Leutnant Alexander Petscherski. Am 14. Oktober 1943 ab 16 Uhr töteten die Aufständischen elf SS-Männer. Die Lederwerkstatt in der Toivi Blatt arbeitete, spielte dabei in zentrale Rolle. Etwa 365 der 600 aufständischen Häftlinge konnten die Sperren überwinden. Aber nur 150 Flüchtlinge entkamen dem Kugelhagel der ukrainischen Trawniki, und den Minenfeldern rund um das Lager. Sie flohen in die nahe gelegenen Wälder, 47 entkamen ihren Verfolgern endgültig und überlebten den Holocaust. Toivi Blatt versteckte sich mit einem Freund bei einem Bauern, der jedoch seinen Freund wenig später ermordete. Die SS ermordete in Sobibór zwischen 150 000 und 250 000 Menschen. Das Lager wurde nach dem Aufstand geschlossen und dem Erdboden gleichgemacht.

Toivi Blatt erzählt in dem Interview, das in seinem Arbeitzimmer in Santa Barbara/Kalifornien gedreht wurde, seine Geschichte, sein ganzes Leben. Beeindruckend ist seine Präsenz, die ZuschauerInnen glauben ihn tatsächlich vor sich zu haben. Er ist nicht »davongekommen«, er hat sich befreit, Juden haben in Sobibór Nazis umgebracht, da schwingt Stolz mit. Er redet nicht über die Vergangenheit sondern über die Gegenwart, über Holocaustleugner, die deutsche Nazizeitung »Nationalzeitung«, darüber dass in Internetsuchmaschinen bei den Schlagworten Sobibór oder Toivi Blatt, revisionistische Webseiten ganz oben stehen, über deren Versuch die Erinnerungen der Überlebenden gegeneinander auszuspielen. Er redet über seine ganz persönlichen Traumata, (Versagens-)ängste aus dem Lager, die in Träumen immer wieder kehren. Er zeigt kleine Fundstücke und Überbleibsel, die er bei Besuchen in Sobibór gefunden hat. Wir sehen einen Menschen der sein ganzes Leben dem Kampf um die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, aber auch an die Menschen, die ihnen zum Opfer gefallen sind und denen, die sich mit allen Mitteln gegen sie gewehrt haben, gewidmet hat. Aktuell ist Thomas Blatt Nebenkläger im Prozess gegen John Demjanjuk, Wachmann aus dem Lager Sobibór.

Es ist ein kleiner, schöner, ein beeindruckender Film, der ganz sicher auch dem persönlichen Anliegen von Thomas Toivi Blatt gerecht wird, und dem ein breites Publikum zu wünschen ist. Mit einer kleinen Einführung ist er sicher auch für Schüler und Schülerinnen sehr gut geeignet.