Bremen zum Beispiel

geschrieben von Raimund Gaebelein

5. September 2013

Städte und Gemeinden erinnern an die Novemberprogrome 1938

Nov.-Dez. 2011

Bremen ist eine 1200 Jahre alte Halbmillionenstadt mit hanseatischer Tradition, die nach dem Dreißigjährigen Krieg Fremden Zuzug nur gewährte, wenn sie etwas einbrachten. Juden war der Weg zur Niederlassung erst seit der Eingemeindung vorgelagerter Orte in napoleonischer Zeit offen. Zu wilhelminischer Zeit wurden Kolonial- und Flottenbauprogramm eifrig begrüßt. »Buten un binnen, wagen un winnen«, lautet der traditionelle Kaufmannsspruch. Nach der Novemberrevolution verlangte in Berlin der Präses der Handelskammer die militärische Niederschlagung der Bremer Räterepublik. Major Caspari, Leiter des Freikorps an der Seite der Division Gerstenberg, wurde Polizeichef. 1933 trug er zum Sturz des Bremer Senats und zur Auflösung der Bürgerschaft bei, als er SA, SS und Stahlhelm entgegen Recht und Gesetz den Aufmarsch auf dem Domshof erlaubte. Die letzte freie Rede in einem deutschen Landesparlament verhallte, Hermann Prüser (KPD) konnte sich nur wenige Wochen auf den Parzellen (Schrebergartengebiet) verstecken. Hunderte politische Gefangene füllten Ostertorwache und KZ Mißler. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden fünf Bremer Jüdinnen und Juden in unterschiedlichen Stadtteilen von SA-Männern ermordet. An sie erinnert ein Denkmal am Landherrenamt.

Die Bremische Bürgerschaft hat es sich zur Tradition gemacht Jahr für Jahr ihrer zu gedenken, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der angrenzenden Schule St. Johann im Schnoor. Eingeladen werden Überlebende der Deportationen Bremischer Juden nach Minsk und Theresienstadt oder Nachkommen, die dann abends im Rathaus im Rahmen der »Nacht der Jugend« ihre Lebensstationen schildern. In einer Reihe von Stadtteilen finden eigene Gedenkveranstaltungen statt, Mahnwachen an einer Gedenktafel, so an dem Ort der alten Synagoge von Alt-Aumund (Vegesack) und am ehemaligen Jüdischen Altenheim in Gröpelingen. Dort werden aktuelle Fragen der Auseinandersetzung mit dem provokanter werdenden Auftreten des heutigen Faschismus verknüpft mit der Erinnerung an Menschen, die in den Tod abgeschoben wurden. Im Anschluss folgt ein Gedenkgang zu Stolpersteinen, die die Erinnerung an diese Menschen mit Namen und Lebensdaten erhalten. Waren es früher Initiativen von Geschichtswerkstätten und Einzelpersonen, so geht der Aufruf inzwischen von den Stadtteilbeiräten aus, die aufgrund der geleisteten beharrlichen Kleinarbeit aus ihren Mitteln Erinnerungsarbeit, Gedenktafeln und Stolpersteine finanziert haben. Manchmal löst dies auch weitergehende Aktivitäten aus.

Im Stadtteil Gröpelingen kaufte 1920 der jüdische Kaufmann Hermann Littmann aus Kalusz in Ostgalizien ein dreistöckiges Wohnhaus, zog dort ein, eröffnete einen Heringshandel, und ließ Frau und Kinder nachkommen. Der 46jährige betrieb mit einigen Angestellten eine Heringsräucherei, einen Kohlenhandel, eine Grünhökerei und ein Kolonialwarengeschäft. Die beiden Söhne konnten 1936 noch rechtzeitig nach Philadelphia/USA auswandern, Eltern und beide Schwestern wurden Ende Oktober 1938 in den frühen Morgenstunden von Gestapo aus der Wohnung geholt und nach Polen abgeschoben. Wertsachen, Schmuck und Besitz wurden konfisziert, die persönlichen Besitztümer verschwanden spurlos. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion, zu der Ostgalizien seit Mitte September 1939 gehörte, wurde die Familie in ein Vernichtungslager abtransportiert, Hermann Littmann auf dem Weg zum Güterbahnhof erschlagen. Einzig Tochter Rosa Littmann überlebte, sie hatte einen sowjetischen Offizier kennengelernt, der vor Kriegsbeginn ins Uralgebiet versetzt wurde. Ihre Tochter Lidija und Familie gingen 1992 nach Deutschland. Zur Einweihung der Stolpersteine für ihre Großeltern und Tante kamen sie April 2006 nach Gröpelingen. Igor Gengeris ist Künstler, in Anerkennung der Erinnerungsarbeit für die Familie Littmann stiftete er dem Beirat im Juni ein Bild. Es wurde der Öffentlichkeit erstmals zur Eröffnungssitzung des neuen Beirats vorgestellt, dem auch ein Mitglied der faschistischen NPD angehört. Zur stetigen Mahnung wurde es am 9. November im Foyer des Tagungsortes dauerhaft angebracht.