Das Moorsoldatenlied

geschrieben von Inge Lammel

5. September 2013

Wie die Hymne des antifaschistischen Widerstandes entstand

Mai-Juni 2008

In einem Aufsatz von 1965 schilderte Fritz Selbmann das Phänomen der Verbreitung des Liedes aus eigenem Erleben:

»Von dort, aus dem Moor des Emslandes, kamen die Baukommandos, die im Jahre 1937 die großen Konzentrationslager aufbauten: Sachsenhausen, Buchenwald und viele andere, und diese Baukommandos trugen das Lied von den ›Moorsoldaten‹ in alle Lager ›Großdeutschlands‹. Und so sangen denn die Gefangenen des ›Dritten Reiches‹ auf allen Appellplätzen von Fuhlsbüttel bis Mauthausen, von Natzweiler bis Treblinka … diesen schönsten und würdigsten, trotzigsten und erhabensten Gefangenenchor …«

Vor 75 Jahren, im Sommer 1933, erblickte ein Lied das Licht der Welt, das sich neben der Internationale wohl am tiefsten in den Liederschatz vieler Völker eingeprägt hat das Lied der Moorsoldaten. Weltweit wurde es zum Symbol des antifaschistischen Widerstandes. Es ist erstaunlich, in welchem Tempo sich dieses Lied unmittelbar nach seiner Entstehung durch die KZ-Häftlinge selbst verbreitet hat.

Nachdem Ernst Busch die »Moorsoldaten« auf der I. Internationalen Arbeitermusik- und Gesangs-Olympiade 1935 in Strasbourg erstmal der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, trug er das Lied in die Reihen der Internationalen Brigaden. Während 1938 Bomben auf Barcelona fielen, produzierte er, gemeinsam mit Kameraden der XI. Brigade, das Moorsoldatenlied auf Schellackplatte. Seitdem galt es in vielen europäischen Ländern als Lied der deutschen Hitlergegner. Als anonymes Volkslied ist es in internationalen Liedveröffentlichungen abgedruckt worden. Auch Radio Moskau hat zur Verbreitung beigetragen.

Wie entstand das Lied, was war der Anlass, wer waren die Autoren?

Dazu finden sich in Wolfgang Langhoffs Buch »Die Moorsoldaten« ausführliche Schilderungen. Nach dreizehnmonatiger Haft im Börgermoor und im KZ Lichtenburg konnte er in die Schweiz ausreisen. Hier verfasste er seinen »Tatsachenbericht« als »Zeugenaussage vor dem Richterstuhl des Weltgewissens« und veröffentlichte ihn 1935 im Spiegel-Verlag Zürich. Es war eines der ersten öffentlichen Dokumente über das wahre Gesicht des Dritten Reiches. Langhoff beschreibt die Entstehung des Liedes ohne aus verständlichen Gründung Benennung der Verfasser und schildert anschaulich die erste öffentliche Aufführung des Liedes im Rahmen einer selbst inszenierten Kulturveranstaltung der Häftlinge, die im Sommer 1933 als »Zirkus Konzentrazani« über die Bühne ging. Zur Aufmunterung der Kameraden nach einem brutalen nächtlichen Überfall der SS auf eine Lagerbaracke, die sogenannte »Nacht der langen Latten«.

Für den Abschluss dieser Veranstaltung hatte Langhoff den dichtenden Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet Johann Esser um einen Text für ein situationsgemäßes »Heimatlied« gebeten. Am Refrain, der ihm stellenweise zu provokativ schien, hat Langhoff dann mitgearbeitet. Die Melodie, den vierstimmigen Chorsatz und die musikalische Einstudierung für den Auftritt von Mitgliedern des Solinger Arbeitergesangvereins, die ebenfalls inhaftiert waren, lag in den Händen von Rudi Goguel. Er war wegen aktiver KPD-Mitgliedschaft in Düsseldorf in das Börgermoor verschleppt worden und musste bis 1945 noch andere Konzentrationslager durchleiden. Nach seiner Haft in Neuengamme gehörte er zu den Wenigen, die den Untergang des KZ-Schiffes »Cap Arcona« überlebten.

1935 hat Hanns Eisler im amerikanischen Exil die »Moorsoldaten« als eines der schönsten revolutionären Lieder der internationalen Arbeiterbewegung bezeichnet und hinzugefügt, es sei »… geradezu erschütternd, wie unsere gefangenen Genossen es verstanden haben, die Frage eines getarnten Liedes zu lösen.«

Für das 1962 vom Arbeiterliedarchiv zusammengestellte Buch »Lieder aus den faschistischen Konzentrationslagern« verfasste Rudi Goguel einen lebendigen Bericht über die Uraufführung seines Moorsoldatenliedes: »Auf der Kulturveranstaltung, die unter der Bezeichnung ›Zirkus Konzentrazani‹ durchgeführt wurde, fand im Sommer 1933 die Uraufführung statt. Die 16 Sänger … marschierten in ihren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung) mit geschultertem Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1.000 Gefangenen den Refrain mitzusummen. Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, die mit ihrem Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit uns mit … Bei den Worten: ›Dann zieh’n die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor‹ stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurück lassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten.«