Das Vermächtnis der Opfer bewahren

geschrieben von Anita Tschapek, Leipzig

5. September 2013

Zu »Das verordnete Schweigen«, antifa Juli/August 2010

Sept.-Okt. 2010

Vor ein paar Tagen las ich den Artikel zu dem Thema. Erstmals wurden wir mit den stalinistischen Verbrechen zur 3. Parteikonferenz konfrontiert. Es hieß, es wäre eine sowjetische Angelegenheit. Eine Diskussion zum Bericht gab es nicht. Wir wussten nicht, dass es Antifaschisten aus ganz Europa betraf und glaubten noch, es wären Einzelfälle.

Es muss 1956 gewesen sein und ich erinnere mich an folgende Begebenheit: Resi Schlenz kam völlig aufgelöst zu meiner Schwiegermutter. Sie hatte von ihrem Bruder aus Magadan, SU, einen Brief erhalten. Er war fast ein Jahr unterwegs gewesen und zuerst nach Karlsbad, CSSR, adressiert worden. Resi war 1946 aus Karlsbad in die damalige sowjetische Zone übersiedelt und lebte in Halle. 1938/39 waren die Geschwister, beide Kommunisten, aus der CSR geflohen Resi gelangte nach England, der Bruder emigrierte in die SU. Der Brief enthielt die Bitte ihm zu helfen, den Verbannungsort zu verlassen und aus der SU ausreisen zu dürfen. Das war damals nur mit Hilfe von außen möglich.

Um es kurz zu machen, Resi setzte damals Himmel und Hölle in Bewegung, um ihren Bruder nach jahrzehntelanger Ungewissheit über sein Schicksal in die DDR zu bekommen. Es sollten noch viele Monate vergehen, bis sie ihn und seine Familie in Halle in die Arme schließen konnte.

Ein weiteres Schicksal ist das der Familie Dattau. Erika Dattau, geboren am 29.11.1910 ist 1989 gestorben. Zu Lebzeiten wurde sie zum Schweigen verpflichtet. Nach ihrem Tod wurden meinem Mann Walter Tschapek, damals Vorsitzender der Betreuungskommission in Halle, Unterlagen über ihr Leben und das ihres Vaters übergeben.

Otto Dattau, geboren am 16.2.1875 war Mitbegründer des Spartakusbundes und der KPD. 1938 erfolgte die Verhaftung in Leningrad, dann umgebracht. Am 26. 6. 1938 wurde auch Erika verhaftet und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde das Urteil auf über 8 Jahre verlängert. Dann folgte die Verbannung auf Lebenszeit nach Karaganda. Jahrelang hatte Erika gehofft, dass ihr Vater noch lebt. Sie erhielt keinerlei Nachricht über sein Schicksal, auch nicht über Todesart oder Todeszeit.

Bei den Unterlagen befand sich auch ein Brief von Hermann Duncker und ein Schreiben von Wilhelm Pieck von 1948. Vor einiger Zeit haben wir die Dokumente der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Leipzig übergeben. Die Verfolgung der besten Kader der internationalen Arbeiterbewegung zu Stalins Zeiten hat uns ungeheuren Schaden zugefügt. Das Leid der Betroffenen ist nie wieder gut zu machen. Ihre Schicksale müssen erforscht und dokumentiert werden, um sie der Nachwelt zu erhalten. Die Opfer sind es wert, nicht vergessen zu werden.